Urteil im ersten Prozess zur Freien Kameradschaft Dresden

schon seit einigen Wochen liegt die schriftliche Urteilsausfertigung des LG Dresden im Strafverfahren gegen Robert S. und Florian N. wg. verschiedener Gewalttaten im Zasammenhang der Freien Kameradschaft Dresden vor.

Für alle die das ineteressiert, stelle ich eine anonymisierte Fassung zum Download (pdf, 43,3 M) zur Verfügung.

StA Dresden: „Feuer und Flamme den Abschiebebehörden nicht strafbar.

Januar 2016. Die rassische Mobilisierung der Pegida will nicht abreissen. Protest, ob linker oder schlicht bügerlich-demokratischer kaum mehr Wahrnehmbar. Nachdem sich beispielsweise das etablierte Bündnis Dresden-Nazifrei weitgehend aus der Mobilisierung gegen Pegida verabschiedet hatte, verstetigte sich langsam regelmäßiger allmontaglicher Protest unter dem Namen „GEPiIDA“. Die Teilnehmerzahlen waren überschaubar und die Demonstranten schon angesichts des von Pegida und deren Hooligan- und Neonazipublikum ausgehenden Gewalt- und Aggressionspotenzials reichlich in der Defensive.

Regelmäßig musste sich dieser Protest so dann auch von Polizei und Ordnungsamt herumschubsen lassen. Viele kleine Eingriffe, keine starke Struktur, die auf die gerichtliche Klärung verschiedener versammlungsrechtlicher Probleme drängen könnte und die fehlende Macht, Positionen faktisch durchsetzen zu können erschwerten den Protest gegen die „Besorgten“ und umsorgten Rassisten.

04.01.2016Wieder Montag. wieder PEGIDA, wieder viel zu wenige in einem feindlichen Umfeld. Einge dieser wenigen skandierten eine Parole, die schon seit mindestens Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrtausends zum Standardrepertoire antirassistischer Aktionen gehörte: „Solidarität muss Praxis werden, Feuer und Flamme den Abschiebebehörden“.

Unvermittelt griff die Polzei die Versammlung an und Menschen aus dem Demonstrationszug heraus. Sie verlautbarte am späten Abend:

Ab 17.30 Uhr hatten sich unter dem Motto „Kaltland – Wir zeigen Wärme“ Teilnehmer zur Versammlung der GEpIDA am Postplatz eingefunden. Nach einer Auftaktkundgebung führte ein Aufzug ab 18.00 Uhr über die Wilsdruffer Straße zunächst zum Neumarkt. Als dabei mehrere Versammlungsteilnehmer „Feuer und Flamme den Abschiebebehörden“ riefen, leitete die Polizei Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten ein. Einsatzkräfte stellten in dem Zusammenhang die Identitäten von vier Männern im Alter von 16, 20, 23 und 23 Jahren fest.

Da wundert sich der Laie und staunt der Jurist. Wenn das strafbar sein sollte, warum ist hier noch niemand darauf gekommen? Kann man tatsächlich den Slogan so verstehen, dass die Adressaten dazu aufgefordert werden, unmittelbar die nächste mit Abschiebungen befasste Behörde anzuzünden? Nur in diesem Verständnis wäre wohl die Tat, zu der aufgerufen worden wäre, räumlich und zeitlich hinreichend bestimmt. Noch weiter: Muss man den Slogan so verstehen, so dass alle anderen Deutungsmöglichkeiten fernliegend wären, denn nur dann wäre der Eingriff in die Meinungsfreiheit zu rechtfertigen.

Man könnte nun meinen, einzelne Polizeibeamte hätten übereifrig reagiert und der offensichtliche Subsumptionsfehler würde schnell in der Einsatznachbereitung aufgearbeitet. Aber es kam anders.

06.02.2016 Ab und an kann sich antirassistischer Protest in Dresden dank Intervention von außen auch kraftvoll artikulieren. So zum Beispiel am 06.02.2016 bei der Demonstration „Solidarity without limits“. Im Vorfeld erließ die Versammlungsbehörde der Landeshauptstadt – wie üblich – einen Auflagenbescheid, in dem Sie unter anderem auf Folgendes hinwies:

Die Skandierung von Parolen darf nicht gegen die Strafgesetzt oder die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen (darunter würde z.B. die Skandierung der Parole „Feuer und Flamme den Abschiebebehörden“ – öffentliche Aufforderung zu Straftaten gem. § 111 StGB – fallen)

Der Versammlungsleiter, der zur Verlesung der Auflagen gehalten war, nannte sodann den inkriminierten Slogan und moderierte nach Polizriangaben diese dann an. Im weiteren Verlauf dokumentierte die Polizei akribisch, wann der Slogan gerufen wurde und wertete das Videomaterial danach aus. Zugriffe erfolgten jedoch nicht – wie bereits erwähnt war der Protest ja dieses mal nicht in der Defensive.

Gegen den Versammlungsleiter wurde ein Ermittlungsverfahren wegen der Aufforderung zu Straftaten eingeleitet, zahlreiche Zeugen vorgeladen, Videomaterial ausgewertet …

Während also zunächst davon ausgegangen werden konnte, einzelne Polizeibeamte hätten die rechtliche Situation vielleicht falsch eingeschätzt, so wurde nun langsam deutlich, dass die Polizei tatsächlich an der Rechtsauffassung, die antirassistische Traditionsparole sei strafbar, festhielt. Versuche, hierüber eine Klärung herbeizuführen, zeitigten bislang keinen Erfolg.

Nunmehr, also über ein halbes Jahr später erreichte den Anmelder das unscheinbare Schreiben der Staatsanwaltschaft Dresden, das Ermittlungsverfahren sei nach 170 Abs. 2 StPO – also mangels hinreichenden Tatverdachts – eingestellt. Nicht einmal der gem. § 88 RiStBV erforderliche Hinweis, dass sich herausstellte, der Beschuldigte sei unschuldig war enthalten.

Die Begründung fand sich nur in der Ermittlungsakte und lies an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. An und für sich keine juristischen Neuheiten, aber auf Grund der Vorgeschicht doch brisant:

Clausnitz – Sächsisches Auswahlermessen

Nach den Eregnissen in Clausnitz will die sächsische Landesregierung kein rechtswidriges Verahlten der Polizei sehen. Ich möchte einmal versuchen, der Frage, ob die Gewaltanwendung gegen Geflüchtete durch die Polizei tatsächlich gerechtfertigt war.

Gehen wir einmal von folgendem Sachverhalt aus, der nicht in allen Punkten als gesichert gelten kann, aber doch eine brauchbare Grundlage für eine juristische Einordnung sein dürfte:

Am 18.02.2016 sollten einige Gefluechtete aus Chemnitz nach Clausnitz verlegt werden.

Die Geflüchteten wurden in einem Bus nach Clausnitz gefahren. Sie wurden durch einen Streifenwagen der Polizei begleitet. Bereits in einigen Abstand zu der ihnen zugedachten Unterkunft – die im übrigen abgesehen von der Lage und der Nachbarschaft durchaus als gut bezeichnet werden kann – war die Zufahrt durch KFZ und Traktoren blockiert. Die Androhung durch die Polizei, die Fahrzeuge abschleppen zu lassen, bewegte die Halter nach einiger Zeit, diese zu entfernen.

Als der Bus mit den Geflüchteten unmittelbar vor der Unterkunft ankam, sahen sich die Ankommenden mit etwa 100 Personen – im folgenden Mob – konfontiert, die „Wir sind das Volk“ riefen und durch Gesten, Habitus und Mimik ihren Hass gegen die Ankommenden zum Ausdruck brachten. Hierbei drohten zumindest einzelne aus dem Mob den Ankommenden mit dem Tod. Auch Schneebälle wurden geworfen.

Die Polizei – inzwischen auf etwa zwei Dutzend Beamte aufgestockt – hielt den Mob mit einer Kette und Schieben mit den Händen von den Türen des Busses zurück. Darüber hinaus gab es keinerlei Versuche seitens der Polizei, gegen den Mob vorzugehen.

Die Polizei verbot den Ankommenden zunächst, aus dem Bus auszusteigen. Es wurde erwogen, die Geflüchteten wieder zurück nach Chemnitz zu bringen. Diese äußerten nach der Art der Begrüßung, sie wollten zurück.

Dann entschied die Polizei doch anders. Sie ordnete an, die Geflüchteten sollten den Bus schnell verlassen. Es ist nicht auszuschließen, dass dabei auch angedroht wurde, diese Anordnung zwangsweise durchzusetzen. Noch immer befand sich der noch in gleicher Weiese agierende Mob direkt an dem Bus. Die Geflüchteten verblieben im Bus.

Sodann verbrachte die Polizei eine Person mittels körperlicher Gewalt – Griff an den Hals und Verdehens eines Armes auf den Rücken – aus dem Bus und verbrachte sie in die Unterkunft, kurz darauf eine andere – minderjährige Person durch einen Würgegriff. Die Gewaltanwendungen gegen die Geflüchteten wurden begleitet von einem triumphierenden Johlen des Mobs.

Die Polizei meint, die Anwendung unmittelbaren Zwanges sei gerechtfertigt, da eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Geflüchteten und für den Bus bestanden habe, da zu befürchten gewesen sei, der Mob könne den Bus u.a. mit Steinen und Böllern angreifen.

Ausgehend von diesem vorsichtig und etwas nüchtern dargestellten Sachverhalt wollen wir nun die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns prüfen. Wer eine etwas empathischer Dastellung wünscht sei auf die eindruckvollen Schilderungen des anwesenden Dolmetschers verwiesen.

Nicht von der Hand zu weisen ist die Gefahrenprognose. In der Tat war zu befürchten, dass der Mob den Drohungen Taten folgen ließe. Sehen wir also darauf, was die Polizei zur Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit – dies umfasst die Rechtsgüter des Einzelnen – darf.

§ 3 SächsPolG – Polizeiliche Maßnahmen

(1) Die Polizei kann innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit die Befugnisse der Polizei nicht besonders geregelt sind.

(2) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Polizei diejenige zu treffen, die ihr nach pflichtmäßigem Ermessen erforderlich erscheint und den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.

(3) Durch eine polizeiliche Maßnahme darf kein Nachteil herbeigeführt werden, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.

(4) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann.

Zunächst also die erforderlichen Maßnahmen treffen.

Und gegen wen?

§ 4 SächsPolG – Maßnahmen gegenüber dem Verursacher

(1) Wird die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch das Verhalten von Personen bedroht oder gestört, so hat die Polizei ihre Maßnahmen gegenüber demjenigen zu treffen, der die Bedrohung oder die Störung verursacht hat.

(2) Ist die Bedrohung oder die Störung durch eine Person verursacht worden, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber demjenigen treffen, dem die Sorge für diese Person obliegt. Ist für eine Person ein Betreuer bestellt, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber dem Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs treffen.

(3) Ist die Bedrohung oder die Störung durch eine Person verursacht worden, die von einem anderen zu einer Verrichtung bestellt worden ist, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber dem anderen treffen.

Aber keine Regel ohne Ausnahme:

§ 7 SächsPolG – Maßnahmen gegenüber Unbeteiligten

(1) Gegenüber anderen als den in den §§ 4 und 5 bezeichneten Personen kann die Polizei ihre Maßnahmen nur dann treffen, wenn

1.

auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht verhindert oder eine bereits eingetretene Störung nicht beseitigt werden kann, insbesondere wenn die eigenen Mittel der Polizei nicht ausreichen, oder
2.

durch Maßnahmen nach den §§ 4 bis 6 ein Schaden herbeigeführt würde, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.

(2) Die Maßnahmen dürfen nur aufrechterhalten werden, solange die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen.

Damit wären die für die Beurtleilung der Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung durch die Polizei wesentlichen Noemen aufgezählt, wenn man von einigen besonderen Voraussetzungen für die anwendung unmittelen Zwanges – so nennt sich die polizeiliche Gewaltanwendung im Gesetz – absieht.

Aus meiner Sicht standen drei Möglichkeiten zur Verfügung die Gefahr abzuwenden:

1. hätte man den Mob auflösen können. D.h. ausgehend davon dass es sich um eine Versammlung handelte – wofür vieles spricht, die Versammlung gem. § 15 Abs. 3 iVm Abs. 1 SächsVersG auflösen und sodann die Pflicht der Teilnehmer, sich zu entfernen mit unmittelbaren Zwang durchsetzen. Geeignete Mittel hat die Polizei hierzu. Die Gefahr ging von dem Verhalten des Mobs aus – hier waren also die primär in Anspruch zu nehmenden Störer.

2. hätte man Clausnitz verlassen können. Da die Geflüchteten den Wunsch äußerten, zurück zu fahren, wäre dies jedenfalls gegenüber gegen ihren Willen durchgeführten Maßnahmen das mildere Mittel.

3. konnte man gegen die Geflüchteten vorgehen, die praktischer Weise auch die Schwächsten waren. Nur muss sich dieses Vorgehen dann an den Voraussetzungen des § 7 SächsPolG messen lassen.

Die Polizei beruft sich darauf, dass sie nicht genug Kräfte gehabt hätte, gegen den Mob vorzugehen. Indes, sie hat dies auch gar nicht versucht, jedenfalls nicht mit allen ihr zur verfügung stehenden (verhältnismäßigen) Mitteln. Den Versuch des Vorgehens gegen den Störer jedoch gar nicht erst zu unternehmen, bevor der Nichtstörer in Anspruch genommen wird, ist aber erst dann zulässig, wenn dieser von vorne herein aussichtslos ist. Bei einem Kräfteverhötnis von 1:4 kann hiervon keine Rede sein.

Und selbst wenn. Man hätte zurück fahren können. Man wandte ein, dadurch hätte der Mob gesiegt. Diese Überlegung kann jedoch im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens in der Auswahl der Maßnahme (§ 3 Abs. 2 SächsPolG) keine Rolle spielen und ist – ganz nebenbei bemerkt – eine erbärmliche Instrumentalisierung der Geflüchteten.

Hat AG Dresden persönliche Daten an Bürgerwehr FTL/360 geleakt?

Spärlichen Presseinformationen zu Folge ergibt sich in etwa folgendes Bild:

Über Wochen und Monate hinweg terrorisierte die selbst ernannte „Bürgerwehr FTl/360“ Geflüchtete und politische Gegner. Unter anderem verfolgten bekannte Mitglieder dieser Gruppierung mehrere – nennen wir sie mal Antifaschisten, auch wenn ich nicht weiß, ob die Betroffenen sich selbst so bezeichnen, die in einem Auto von Protesten nach Hause unterwegs waren und griffen diese an, indem sie mit einem Baseballschläger auf das Fahrzeug einschlugen.

Die Angelegenheit ist nun vor dem AG Dresden angeklagt, einer der Betroffenen hat sich der Anklage als Nebenkläger angeschlossen – womit wir langsam zum Thema kommen.

Die Nebenklage bietet auch und gerade Betroffenen rechter Gewalt die Möglichkeit, aktiv am Strafprozess teilzunehmen, selbst Beweisanträge zu stellen, so Hintergründe der politischen Motivation der Tat zum Prozessstoff zu machen und nicht zuletzt aus einer eigenen Opferposition herauszukommen.

Ich rate Betroffenen gerne zur Nebenklage. Es stellt sich jedoch oft die Frage, inwiefern es auch ein Sicherheitsrisiko darstellt, sich durch eine solche offene Strategie in den Fokus zu stellen und so wieder oder verstärkt Angriffen durch Neonazis ausgesetzt zu sein. Es geht nicht zuletzt darum, abzuwägen, welche Informationen man Angeklagten preisgeben will.

Oft sind Betroffene nicht in der Lage, die Kosten für die Nebenklagevertretung selbst aufzubringen. In vielen Fällen kann Ihnen dann Prozesskostenhilfe gewährt werden. Dazu muss der Betroffene umfangreiche Angaben über Einkommen, Vermögen, Arbeitgeber, Unterhaltsberechtigte und -verpflichtete, Wohnverhältnisse einschließlich Mietvertrag … – also im Prinzip alles, was z.B. auch ein Jobcenter oder Sozialamt so wissen will – machen.

Bisher habe ich Betroffenen immer versichert, dass diese Informationen – anders als Ihre Angaben in einer polizeilichen Aussage – nicht an die Angeklagten oder Beschuldigten gelangen. Sie werden in einen gesonderten Band der Akte geheftet und diese ist nicht von der Akteneinsicht umfasst.

Nun ist dem AG Dresden offensichtlich ein „Versehen“ unterlaufen. Die Unterlagen zur Prozesskostenhilfe wurden wohl an die Verteidigung weitergegeben. Das Gericht hat sich wohl deswegen entschuldigt.

Das ist mehr als eine Randnotiz wert und ich bin froh, dass die Kollegin Nebenklagevertreterin hier ein Fass aufmacht, indem sie einen Befangenheitsantrag stellte. Wenn ich nicht mehr versichern klann, dass diese Daten vertraulich behandelt werden, werden einige Betroffene sich gegen die Nebenklage entscheiden. Vielleicht auch schon dagegen überhaupt eine Straftat anzuzeigen. Der Staat verliert hier an Vertrauen, für das ich auch nicht werben kann, wenn über diese „Panne“ einfach hinweggegangen wird.

Und noch eines: ich unterstelle dem Gericht keine Absicht. Aber einen leichtfertigen Umgang mit dem Interessen des Nebenklägers, der insoweit nicht verwundert, als die Nebenklage von vielen Richtern nicht gerne gelitten ist. Sie gilt als systemfremd, lästig, unnötig. Zwischen dem staatlichen Strafanspruch und den Beschuldigtenrechten ist kein Platz für weitere Interessen, die die Dinge verkomplizieren. Auch viele Kollegen, die sich lieber Strafverteidiger als Rechtsanwälte für Strafrecht nennen, teilen diese Haltung. Umso mehr ist es wichtig, die Nebenklage zu stärken, denn die Funktion des Strafprzesses ist mehr, als die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches.

„Genau Du“ – Das Ende kurz und schmerzlos

Hier und hier hatte ich bereits von dem Strafverfahren berichtet, in dem einem Antirassisten vorgeworfen wurde, mit dem Slogan „Nazis morden, der Staat schiebt ab, das ist das gleiche Rassistenpack“ und der anschließenden einem Polzeibeamten zugewendetetn Äußerung „Genau Du“ diesen bei dieser Aktion rechtswidrig beleidigt zu haben.

In der Berufungsverhandlung waren sich dann alle einig: Das muss ein Amtsträger abkönnen. Die Staatsanwaltschaft war sich auf einmal nicht mal mehr sicher, ob sich das „Genau Du“ überhaupt auf den inkriminierten Slogan bezog. Das Gericht betonte, wer Macht ausübe, müsse damit rechnen, dass das nicht immer allen gefalle. Die Staatsanwaltschaft plädierte auf Freispruch, ich plädierte auf Freispruch und das Gericht sprach dann wenig überraschend frei.

Nun ist das schriftliche Urteil da, rechtskräftig und wir lernen daraus, dass Sachsen Rechtsstaat schon könnte, wenn es wollte.

UrteilLG-genau-du

„Der Beschuldigte ist Ausländer“

Gestern veröffentlichte ich diesen tweet, der für mich ungeahnte Wellen geschlagen hat.

Auf zahlreiche Anfragen hin möchte ich folgendes hinzufügen:

Dass Ausländer in Strafverfahren anders behandelt werden, als Deutsche ist kein Einzelfall. Dass diese rassistische Diskriminierung so offen ausgesprochen wird, schon.

Der Fall ist nicht besonders bedeutend. Nicht für die Betroffenen. Dass er so hohe Wellen schlägt, liegt daran, dass der Sachverhalt einfach und in einer Sekunde zu erfassen ist und sich so für Twitter hervorragend eignet.

In etwas mehr Worten begründete kürzlich das Amtsgericht Dresden, warum es einem des (gewerbsmäßigen) Diebstahls Beschuldigten keine Bewährung gewähren will.

Darüber hinaus gebietet auch die Reechtsordnung die Vollstreckung der ausgesprochenen Freiheitsstrafen. Den Angeklagten muss bewusst sein, dass sie die asylsuchenden Volksgruppen durch ihre Taten in ein Falsches Licht führen und bereits deshalb ist die Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe in solchen Fällen das falsche Signal.

Urteil Falsches Licht

beleidigte Polzeibeamte

Verfolgen die Strafverfolgungsbehörden Äußerungen wegen Beleidigung (§ 185 StPO) so geht es meist um die verletzte Ehre von Richtern, Staatsanwälten und insbesondere Polizisten. Angehörige anderer Professionen scheinen da weniger dünnhäutig bzw. schutzbedürftig zu sein. Sie bringen derartige Angriffe auf ihren „ethischen, personalen oder sozialen Geltungswert“ entweder nicht zur Anzeige oder werden regelmäßig auf den Privatklageweg verwiesen. Es scheint, der Tatbestand des § 185 StGB solle weniger die persönliche Ehre, als vielmehr die Autorität von Amtsträgern schützen.

Nun steht die Strafbarkeit von Äußerungen im Spannungsfeld zur grundrechtlich garantierten Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Die Vermutung der freien Rede schließt eine Strafbarkeit von Äußerungen, die im öffentlichen Meinungskampf fallen und keine Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellen, weitestgehend aus. Dabei betont das BVerfG immer wieder, dass das, was als „Schmähkritik“ dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht mehr unterfallen soll, eng auszulegen ist. Nur wenn die sachbezogene Kritik gänzlich hinter der Herabsetzung der geschmähten Person zurücktritt. kann von einer solchen ausgegangen werden.

Die Strafgerichtsbarkeit tut sich mit der Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben schwer undfolgt ihr nur mit deutlich zum Ausdruck gebrachten Widerwillen. So ließ es sich schon das BayObLG (Beschluss vom 20.10.2004 – 1 St RR 153/04) nicht nehmen, sich deutlich vom BVerfG zu distanzieren:

Dabei ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsäußerungsfreiheit, die zu einer weitgehenden Einschränkung des Ehrenschutzes geführt hat, zu beachten. Zwar vermag der Senat die massive Kritik, die in der Literatur an dieser Rechtsprechung geübt wurde (vgl. die Nachweise bei BayObLGSt 1994, 121/124 und Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 193 Rn. 24 ff.), zumindest in Teilen nachzuvollziehen, sieht sich aber gehalten, die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu respektieren und auch im vorliegenden Fall zugrunde zu legen.

Diese Entscheidung ist zwischenzeitlich schon über 10 Jahre alt, doch noch immer sind sich die Gerichte regelmäßig der Tragweite der Meinungsfreiheit nicht bewusst – bzw. nicht bereit diese anzuerkennen. So auch das AG Dresden, dass einen Antirassisten verurteilte, weil er anläßlich eines Protestes gegen eine Abschiebung auf den Slogan „Nazis morden der Staat schiebt ab …“ zu einem Polizeibeamten gewandt die Worte „Genau Du“ geäußert haben soll. Das Urteil vom 22.05.2013, dass die Grenze dort ziehen wollte, wo dem Äußerndem mildere Formen der Kritik zur Verfügung gestanden hätten. Wörtlich:

Dem Angeklagten kam es gerade durch die KOnkretisierung „Genau Du“ darauf an, eine ganz bestimmte Person herabzuwürdigen. Dies war weder erforderlich noch das angemessene Mittel, um sien Meinung über das staatliche Vorgehen im Rahmen der Abschiebung kundzutun.

Davon, dass die Ebene der Sachbezogenheit bereits verlassen sei, wenn Personen konkret kritisiert wird, weiss das BVerfG jedoch nichts, weshalb das OLG sodann das Urteil aufhob und zurückverwies.

In der nunmehr dritten Runde versuchte das AG Dresden einen anderen Weg. Es verzichtete weitgehend auf eine tragfähige Begründung des Urteils und suchte über eine milde Sanktion – Verwarnung mit Strafvorbehalt – Legitimität über Akzeptanz.

Nachdem das LG Dresden erkannte, dass dieses Urteil verfassungsrechtlich keinen Bestand haben kann, ließ es die (Annahme-)Berufung zu. Es darf nun also erneut Verhandelt werden.

Termin: Mittwoch, 04.11.2015, 13:00 Uhr, LG Dresden

Wer sich die bisherigen Entscheidungen ansehen will, kann sie hier downloaden:
AG-OLG-AG-anon.pdf

SG Dresden zum Leistungsausschluss für EU-Bürger

Zu der heiß diskutierten Frage des Ausschluss von ALGII-Leistungen für EU-Bürger nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2  SGB II kann das SG Dresden im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zwar keine Position finden, gewährt jedoch existenzsichernde Leistungen aufgrund einer Folgenabwägungsentscheidung.

 

S 46 AS 4203/14 ER
SOZIALGERICHT DRESDEN
BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit
XXX – Antragsteller –
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Mark Feilitzsch Anwaltsfach 7, Hoyerswerdaer Straße 40, 01099 Dresden

gegen

Jobcenter Dresden vertreten durch die Geschäftsführung, Budapester Suaße 30, 01069 Dresden
– Antragsgegner –

hat die 46. Kammer des Sozialgerichts Dresden durch die stellvertretende Vorsitzende Richterin Dittrich ohne mündliche Verhandlung am 15. Juli 2014 beschlossen:

l. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung für den Monat Juli 2014 verpflichtet, vorläufg Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 453,60 EUR an den Antragsteller zu zahlen.

2. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung für die Monate August 2014 bis Dezember 2014 verpflichtet, vorläufg Leistungen nach dem SGB H in monatlicher Höhe von 567,00 EUR an den Antragsteller zu zahlen.

3. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

Die Beteiligten streiten um die Leistungsgewährung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im einstweiligen Rechtsschutz.

Der am 00.00..1954 geborene alleinlebende geschiedene Antragsteller ist rumänischer Staatsangehöriger und lebt seit dem 00.06.2012 in der Bundesrepublik Deutschland. Er bewohnt eine l-Raum-Wohnung in Dresden für die eine monatliche Gesamtmiete in Höhe von 228,00 EUR (144,00 EUR Grundmiete, 37,00 EUR Heizkostenvorauszahlung, 47,00 EUR Betriebskostenvorauszahlung) antällt.

Er nahm verschiedene Tätigkeiten auf, deren Vergütung nicht bedarfsdeckend waren, so dass er Leistungen nach dem SGB II beantragte. Die letzte Vollzeitbeschäftigung des An- tragstellers endete am 15.11.2013. Zuletzt wurden dem Antragsteller mit Bescheid vom 28.02.2014 — nach Durchführung eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz — Leistungen vom 01.03.2014 bis 15.05.2014 gewährt.

Am 13.05.2014 stellte der Antragsteller beim Antragsgegner einen Weiterbewilligtmgsantrag. Zuvor hatte er zum 01.05.2014 eine unbefristete Tätigkeit als Hausmeister mit einer Vergütung in Höhe von 165,00 EUR/Mon. und einer Arbeitszeit von 4 Stunden/Woche aufgenommen. Mit Bescheid vom 11.06.2014 wurden Leistungen abgelehnt, weil nach der Gesamtschau des Arbeitsverhältnisses keine Arbeimehmereigenschaft vorliege. Der Antragsteller halte sich daher in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche auf und unterfalle daher dem Lcistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II.

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller vertreten durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 04.07.2014 Widerspruch ein.

Der Antragsteller verfügt über ein Konto. Laut vorgelegtem Kontoauszug betrug der Kon- tostand am 01.07.2014 125,16 EUR. Über weitere Konten, Vermögensgegenstände oder Bargeld verfügt der Antragsteller nicht.

Am 08.072014 hat der Antragsteller vertreten durch seinen Bevollmächtigten beim Sozialgericht Dresden einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass der Leistungsausschluss mit Europäischem Recht nicht vereinbar sei. Zudem halte er sich nicht allein zum Zwecke der Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland auf. Vielmehr begründe sein bestehendes Arbeitsverhältnis eine Arbeitnehmereigenschaft.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller ALG II in Höhe von 567,00 EUR zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller sei kein Arbeitnehmer und somit gemäß § 7 Abs. 1 SGB 11 von den Leis-
tungen ausgeschlossen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidung waren, verwie-
se.

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 86 b Abs. 4 SGG i.V.m. § 124 Abs. 3 SGG durch Beschluss entscheiden. Das Gericht entscheidet ohne die ehrenamtlichen Richter, § 12 Abs. 1 S. 2 SGG

Der Antrag ist zulässig und begründet. Dem Antragsteller werden vorläufg Leistungen nach dem SGB II vom 08.07.2014 bis 31.12.2014 gewährt.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufgen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine sol- che Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der vorläufgen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 3 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO), was dem Antragsteller gelungen ist.

Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht aufgrund einer vorläufi- gen, summarischen Prüfung zu der Übeneugung gelangt, dass eine überwiegende Wahr- scheinlichkeit dafur spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und er deshalb im Hauptsacheverfaluen mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde.

Dabei wird der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten ennittelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbcgehrens geboten ist (Krodel NZS 2002, 234 ff).

Aufgrund dieser Prüfung ist den tatsächlichen Ausführungen des Antragstellers in Bezug auf die vorläufige Gewährung von Leistungen zu folgen.

A)

l. Der Anordnungsgrund, also die notwendige Eilbedurftigkeit, ist gegeben. Dieser besteht, weil es aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen unter Berücksichtigung der Interessen der Parteien unzumutbar erscheint, den Antragsteller zur Durchsetzung seiner Ansprüche auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere grundsätzlich danach, ob sie zur Abwehr wesentlicher Nachteile oder zur Verhindertmg drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nö- tig erscheint. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Haupt- sacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist ein Anordnungsgrund jedenfalls gege- ben. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Einuitt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkre- ten Gefahr unmittelbar bevorsteht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Keller, SGG, l0. Auf- lage 2012, § 86b, Rn. 27 ff).

Durch Vorlage der Kontoauszüge hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass er aktuell über keine finanziellen Mittel verfügt, um sein menschliches Existenzminimum decken zu können.

2. Ein Anordnungsgrund besteht nach Ansicht des Gerichts jedoch nur bis zum 31.12.2014.
Der Regelbewilligungszeitraum beläuft sich gemäß § 4l Abs. l S. 3 SGB II auf sechs Monate. Es ist kein Grund ersichtlich, den Antragsteller gegenüber Bürgen-r, welche keine ge- richtliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen, besser zu stellen (vgl. Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Keller, SGG, l0. Auflage 2012, § 86b, Rn. 35b).

B)

Ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist, kann im Eilverfahren aufgrund der komplexen Sach- und Rechtslage nicht abschließend geklärt werden. Aufgrund einer Folgenabwägung werden dem Antragsteller trotzdem vorläufig Leistungen nach dem SGB II gewährt.

1. Der Antragsteller erfüllt die altersmäßigen Einschränkungen des § 7 Abs. 1 S. l Nr. I SGB

2. Der Antragsteller ist erwerbsfähig nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II. Erwerbsfähig ist nach § 8 Abs. 1 SGB II der, wer nicht wegen Icrankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Das Gericht hat keine Zweifel, dass
der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt.

Für Ausländer sieht § 8 Abs. 2 S. l SGB I1 eine Einschränkung dahingehend vor, dass ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt sein muss oder erlaubt werden könnte.

Der Antragsteller als rumänischer Staatsangehöriger kann sich auf die europäische Grund- freiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen.

3. Der Antragsteller ist hilfebedürftig gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II.

Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II der, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
Der alleinlebende geschiedene Antragsteller hat einen monatlichen Bedarf in Höhe von 619,00 EUR, bestehend aus dem Regelbedarf in Höhe von 391,00 EUR gemäß § 20 Abs. 2 SGB II i.V.m. der Bekanntmachnung vom 16.10.2013. Als Bedarf für Unterkunft und Hei- zung sind 228,00 EUR (144,00 EUR + 37,00 EUR + 47,00 EUR) anzusetzen, § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. An der Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten hat das Gericht keine Zweifel.

Zu berücksichtgendes Vermögen zur Bedarfsdeckung ist nicht vorhanden, § 12 SGB II.

Zu berücksichtigendes Einkommen nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II ist in Höhe von 165,00 EUR vorhanden. Nach der Einkommensbereinigung in Höhe des Freibetrages von 100,00 EUR (5 11b Abs. 2 SGB II) und des Freibetrages in Höhe von 13,00 EUR (5 11b Abs. 3 Nr. 1 SGB H) ergibt sich ein anzurechnendes monatliches Einkommen in Höhe von 52,00 EUR.
Danach ergibt sich für Juli 2014 ein Bedarf des Antragstellers in Höhe von 495,20 EUR.
Da der Eilantrag erst am 08.07.2014 einging, können dem Antragsteller für Juli 2014 erst
ab diesem Tag und mithin für 24 Tage Leistungen gewährt werden (619,00 EUR : 30 Tage x 24 Tage). Abzuziehen ist anrechenbares Einkommen in Höhe von 41,60 EUR (52,00 EUR : 30 Tage x 24 Tage). Somit ist der Antragsteller im Juli 2012 hilfebedtlrftig in Höhe von 453,60 EUR.
Danach ergibt sich für August 2014 bis Dezember 2014 eine Hilfebedürftigkeit des Antragstellers in Höhe von 567,00 EUR monatlich (619,00 EUR — 52,00 EUR).

4. Der Antragsteller hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutsch- land, § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II. Nach ‚E; 30 Abs. 3 S. 2 SGB Ihat den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufliält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der Antragsteller verweilt in der BRD und auch in Dresden nicht nur vorübergehend. Vielmehr ist er seit Längeren: in der BRD und hat in Dresden seinen Wohnsitz begründet.

5. Ob der Antragsteller einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II unterfällt, lässt sich aufgrund der Komplexität der Sach- und Rechtslage nicht abschließend klären.

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGBII scheidet schon deswegen aus, weil der Antragsteller schon wesentlich länger als drei Monate in der BRD Aufenthalt ge-
nommen hat.

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. l S. 2 Nr. 3 SGB II scheidet ebenfalls aus.

Offen bleibt, ob der Leistungsaussehluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift.

a) Offen bleiben muss schon die Frage, auf welches Aufenthaltsrecht sich der Antragsteller berufen kann.

Nicht geklärt werden kann, ob sich der Antragsteller als Arbeitnehmer auf § 2 Abs. 3 Nr. 1 1. Alt. FreizügG/EU berufen karm. Der Antragsteller übt eine geringfügige Tätigkeit aus, bei der fraglich erscheint, ob sie eine Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu begründen vermag. Außer Betracht bleiben Tätigkeiten, die sich als völlig unwesentlich und untergeordnet darstellen. Ein Indiz können die Dauer des Arbeitsverhältnisses, die Urlaubsregelung, Ansprüche auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etc. sein.

Das Arbeitsverhältnis ist vorliegend unbefristet. Ob hingegen Urlaubsansprüche und Ansprüche auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bestehen, geht aus dem Arbeitsvertrag nicht hervor. Das Gericht vermag an dieser Stelle nicht abschließend feststellen, ob nach der Gesamtbetrachtung des Beschäftigungsverhältnisses eine Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers vorliegt Dies kann indes offen bleiben, denn der Antragsteller kann sich zumindest auf das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt FreizügG/EU berufen.

b) Soweit sich der Antragsteller aber nunmehr nur auf dieses Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche berufen kann, muss zunächst der Wortlaut des Leismngsausschlusses nach § 7 Abs.
1 S. 2 Nr. 2 SGB II beachtet werden. Danach würde der Antragsteller keine Leistungen nach dem SGB II erhalten.

Über den Wortlaut hinaus, gibt es aber mehrere Streitigkeiten, ob dieser Leistungsausschluss ftu- EU-Staasangehörige überhaupt gelten darf.

– Auf den Streit bezüglich des Europäischen Fürsorgeabkommens, dessen Wirkung und die Wirkung des Vorbehalts der Bundesrepublik Deutschland kommt es nicht an, weil Rumänien dieses Abkommen nicht ratifiziert hat.

– Entscheidend ist aber der Streit, ob dieser Leistungsausschluss gegen europäisches Ge- meinschaftsrecht verstößt. Konkret geht es um die Frage eines Verstoßes gegen Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2002 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.

Art. 4 V0 lautet: Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist. haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mtgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.

Einige Gerichte vertreten die Auffassung, dass aufgrund des in der Verordnung normierten Gleichbehandlungsgebotes alle in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung fallende Unionsbürger unfassend zum Bezug – insbesondere auch der Leistungen nach SGB II – berechtigt werden (so SG Berlin v. 08.05.2012 – S91 AS 8804/12 ER; SG Dresden v. 05.08.2011 – S36 AS 3461/11 ER). Das Gleichbehandlungsgebot aud Art. 4 VO untersage jegliche auf die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der EU gestützte Diskriminierung einer in den Geltungsbereich der V0 fallenden Person in der sozialen Sicherheit als Ausfluss des primärrechtlich in Art. 21 AEUV verankerten Diskriminierungsverbotes unter EU-Bürgem (HessLSG v. 18.12.2012 — L 7 AS 624/12 B ER —juris-R.n 12). Der Antragsteller Fällt sowohl unter den persönlichen Geltungsbereich nach Art. 2 Abs. 1 der V0 als auch unter den sachlichen Geltungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Nr. h der V0. Für den Antragsteller als Staatsangehöriger von Rumänien, also eines Mitglieds- staates, gelten und galten die Rechtsvorschriften der BRD. Schließlich unterliegt der Antragsteller aktuell dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch und dem darin geregelten Mietrecht. Zudem fallen die Leistungen nach dem SGB Il unter den Begriff Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Danach wären dem Antragsteller aus Gleichbehandlungsgründen Leistungen nach dem SGB I1 zu gewähren.

Andere Gerichte verneinen dies und sehen keinen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, sodass danach Leistungen nach dem SGB I1 weiterhin nicht in Betracht kämen (SG Berlin v. 14.05.2012 – S 124 AS 7164/12 ER; LSG Baden-Württemberg v. 16.05.2012 – L 3 AS 1477/11; LSG Berlin Brandenburg v. 29.02.2012 – L 20 AS 2347/11 B ER). Begrün- det wird das damit, dass diese Ungleichbehandlung durch Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/3 8/EG ermöglicht werde.
Einer Auffassung mag sich das Gericht im Eilverfahren nicht anzuschließen (vgl. LSG NRW v. 11.12.2012 — L 7 AS 1658/ 12 B ER). Dazu wären komplexe Recherchen und Überlegungen notwendig, um dem Zusammenspiel der deutschen und europäischen Normen gerecht zu werden.

– Denkbar wäre zudem, dass sich der Antragsteller auf einen Verstoß gegen Art. 45 AEUV berufen kann.

Art. 45 Abs. l AEUV lautet: Innerhalb der Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

Art. 45 Abs. 2 AEUV lautet: Sie umfasst die Abschaflirng jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten in Bezug auf Beschäftigung Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

Der EuGH hat nochmals entschieden, dass in den Anwendungsbereich des Art. 45 Abs. 2 AEUV (damaligen Art. 39 Abs. 2 EG) auch finanzielle Leistungen eines Mitgliedstaats fallen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen (EuGH V. 04.06.2009 — C 22/08 – Rn 37). Zudem hat der EuGH nochmals entschieden, dass es legitim ist, wenn die Mitgliedsstaaten eine solche Leisttmg aber erst gewähren, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitssuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Stastes festgestellt wurde (EuGH a.a O. – Rn 38). Dabei hat der EuGH es ausdrücklich den zuständigen nationalen Behörden und ggi. den innerstaatlichen Gerichten überlassen, das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen (vgl. EuGH a.a.0 – Rn 41). Dabei kann sich eine solche Verbindung bereits aus der Feststellung ergeben, dass der Betroffene während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat gesucht hat.

Eine solche tatsächliche Verbindung des Antragstellers könnte sich schon deshalb ergeben, weil der Antragsteller geringfügig beschäftigt ist und dafür Arbeitsentgelt erhalten hat bzw.
erhält. Der Antragsteller könnte somit zumindest Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV sein.

Problematisch ist aber, dass der EuGH offen gelassen hat, ob es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um die genannten Leistungen handelt, die den erleichternden Zugang zum Arbeitsmarkt bezwecken sollen (vgl. EuGH v. 04.06.2009 – C-22/08 — Rn 42). Würde man dies bejahen (z.B. LSG Baden-Württemberg v. 25.08.2010 – 25.08.2010 – L 7 AS
3769/10 ER-B), müssten dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II aufgrund dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes zustehen. Würde man dies verneinen, stünden dem Antragsteller wiederum keine Leistungen nach dem SGB ll zu.

Auch an dieser Stelle vermag das Gericht im Eilverfahren keine Entscheidung zu treffen (vgl. LSG NRW v. 11.12.2012 – L 7 AS 1658/12 B ER). Eine abschließende Klärung der Rechtsfrage ist wegen der dargelegten Komplexität der Rechtslage und im Hinblick darauf, dass dem EuGl-1 nach Art. 267 Abs. 1 AEUV die Befugnis vorbehalten ist, das europäische Primärrecht auszulegen und über die Vereinbarkeit des europäischen Sekundärrechts mit dem Primärrecht zu entscheiden nicht möglich. Zudem scheidet ein Vorlageverfahren nach Art. 267 AUEV wegen dessen Dauer im Eilverfahren aus (Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Keller, SGG‚ 10. Aufl. 2012, § 86b Rn 13; LSG NRW v.
02.10.2012 – L 19 AS 1393/12 B ER; LSG Rheinland-Pfalz v. 21.08.2012 – L 3 AS 250/12 B ER; BayLSG v. 14.08.2012 – L 16 AS 568/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg v.
23.05.2012 – L 2S AS 837/12 B ER).

6. Da die Frage des Leistungsausschlusses und damit die Frage des Anordnungsanspruches nicht geklärt werden kann, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (BVerfG v.
12.05.2005 – 1 BvR 569/05).

Das Interesse an einer vorläufgen Regelung darf umso weniger zurückgestellt werden, je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung des vorläufgen Rechtsschutzes verbunden sind. (BVerfG v. 25.02.2009 — 1 BvR 120/09). Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vomahmesachen, jedenfalls dann vorläufgen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu de- ren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage
wäre.

lm Rahmen dieser Folgenabwägung ist die Bedeutung der beantragten Leistungen für den Antragsteller gegen das fiskalische Interesse des Antragsgegner-s abzuwägen, die vorläufg erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurück zu erhalten.

Diese Interessenabwägung geht zugunsten des Antragstellers aus, weil es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um existenzsichemde Leistungen handelt. Auf das dahinterstehende Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gemäß Art. 1 Abs. 1
i.V‚m. Art. 20 Abs. 1 GG können sich auch ausländische Staatsangehörige berufen (vgl.
LSG NRW v. 11.12.2012 -— L 7 AS 1658/12 B ER);
schließlich ist dieses letztlich ein Ausfluss aus der Menschenwürde.

C)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG i.V.m. § 91 ZPO. Sie berücksichtigt das Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten.

D)

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde gemäß § 172 Abs. 1 SGG statthafL

OLG hebt Urteil gegen Antirassisten auf

Das Amtsgericht Dresden verurteilte einen Antirassisten, der bei Protesten gegen eine Abschiebung die Parole „Nazis morden, der Staat schiebt ab, das ist das gleiche Rassistenpack“ gerufen, und sodann in Richtung eines Polizeibeamten die Worte „Genau Du“ geäußert haben soll, wegen Beleidigung. Die Abwägung der Meinungsfreiheit gegen den Ehrschutz gehe zu Lasten den Angeklagten.

Das OLG Dresden hob dieses Urteil auf und verwies die Sache an das Amtsgericht zurück. Nach  den Festellungen des Amtsgerichts ließe sich die Frage, ob die Äußerungen des Angeklagten nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt seien, nicht abschließend beantworten. Es verwies auf die Rechtssprechung des BVerfG, dass bei Äußerungen im politischen Meinungskampf jenseits der Schmähkritik eine Strafbarkeit nur ausnahmsweise zu begründen sei.

Nachzulesen hier: OLG-DD-Beleidigung

NPD zur Unterlassung verurteilt

Der NPD Landesverband Sachsen durfte über die erstinstanzliche Verurteilung einer Antifaschistin wegen des Vorwurfes der gefährlichen Körperverletzung nicht unter Nennung ihres Namens berichten. Das Landgericht Dresden  verwarf die Berufung gegen ein entsprechendes Urteil des AG Dresden.

Das Landgericht hielt für entscheidungserheblich, dass die Antifaschistin keine tragende Rolle in der Antifa-Szene inne hatte.

Nachzulesen sind die entscheidungen hier: NPD-Unterlassung