Verfolgen die Strafverfolgungsbehörden Äußerungen wegen Beleidigung (§ 185 StPO) so geht es meist um die verletzte Ehre von Richtern, Staatsanwälten und insbesondere Polizisten. Angehörige anderer Professionen scheinen da weniger dünnhäutig bzw. schutzbedürftig zu sein. Sie bringen derartige Angriffe auf ihren „ethischen, personalen oder sozialen Geltungswert“ entweder nicht zur Anzeige oder werden regelmäßig auf den Privatklageweg verwiesen. Es scheint, der Tatbestand des § 185 StGB solle weniger die persönliche Ehre, als vielmehr die Autorität von Amtsträgern schützen.
Nun steht die Strafbarkeit von Äußerungen im Spannungsfeld zur grundrechtlich garantierten Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Die Vermutung der freien Rede schließt eine Strafbarkeit von Äußerungen, die im öffentlichen Meinungskampf fallen und keine Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellen, weitestgehend aus. Dabei betont das BVerfG immer wieder, dass das, was als „Schmähkritik“ dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht mehr unterfallen soll, eng auszulegen ist. Nur wenn die sachbezogene Kritik gänzlich hinter der Herabsetzung der geschmähten Person zurücktritt. kann von einer solchen ausgegangen werden.
Die Strafgerichtsbarkeit tut sich mit der Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben schwer undfolgt ihr nur mit deutlich zum Ausdruck gebrachten Widerwillen. So ließ es sich schon das BayObLG (Beschluss vom 20.10.2004 – 1 St RR 153/04) nicht nehmen, sich deutlich vom BVerfG zu distanzieren:
Dabei ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsäußerungsfreiheit, die zu einer weitgehenden Einschränkung des Ehrenschutzes geführt hat, zu beachten. Zwar vermag der Senat die massive Kritik, die in der Literatur an dieser Rechtsprechung geübt wurde (vgl. die Nachweise bei BayObLGSt 1994, 121/124 und Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 193 Rn. 24 ff.), zumindest in Teilen nachzuvollziehen, sieht sich aber gehalten, die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu respektieren und auch im vorliegenden Fall zugrunde zu legen.
Diese Entscheidung ist zwischenzeitlich schon über 10 Jahre alt, doch noch immer sind sich die Gerichte regelmäßig der Tragweite der Meinungsfreiheit nicht bewusst – bzw. nicht bereit diese anzuerkennen. So auch das AG Dresden, dass einen Antirassisten verurteilte, weil er anläßlich eines Protestes gegen eine Abschiebung auf den Slogan „Nazis morden der Staat schiebt ab …“ zu einem Polizeibeamten gewandt die Worte „Genau Du“ geäußert haben soll. Das Urteil vom 22.05.2013, dass die Grenze dort ziehen wollte, wo dem Äußerndem mildere Formen der Kritik zur Verfügung gestanden hätten. Wörtlich:
Dem Angeklagten kam es gerade durch die KOnkretisierung „Genau Du“ darauf an, eine ganz bestimmte Person herabzuwürdigen. Dies war weder erforderlich noch das angemessene Mittel, um sien Meinung über das staatliche Vorgehen im Rahmen der Abschiebung kundzutun.
Davon, dass die Ebene der Sachbezogenheit bereits verlassen sei, wenn Personen konkret kritisiert wird, weiss das BVerfG jedoch nichts, weshalb das OLG sodann das Urteil aufhob und zurückverwies.
In der nunmehr dritten Runde versuchte das AG Dresden einen anderen Weg. Es verzichtete weitgehend auf eine tragfähige Begründung des Urteils und suchte über eine milde Sanktion – Verwarnung mit Strafvorbehalt – Legitimität über Akzeptanz.
Nachdem das LG Dresden erkannte, dass dieses Urteil verfassungsrechtlich keinen Bestand haben kann, ließ es die (Annahme-)Berufung zu. Es darf nun also erneut Verhandelt werden.
Termin: Mittwoch, 04.11.2015, 13:00 Uhr, LG Dresden
Wer sich die bisherigen Entscheidungen ansehen will, kann sie hier downloaden:
AG-OLG-AG-anon.pdf