SG Dresden zum Leistungsausschluss für EU-Bürger

Zu der heiß diskutierten Frage des Ausschluss von ALGII-Leistungen für EU-Bürger nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2  SGB II kann das SG Dresden im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zwar keine Position finden, gewährt jedoch existenzsichernde Leistungen aufgrund einer Folgenabwägungsentscheidung.

 

S 46 AS 4203/14 ER
SOZIALGERICHT DRESDEN
BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit
XXX – Antragsteller –
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Mark Feilitzsch Anwaltsfach 7, Hoyerswerdaer Straße 40, 01099 Dresden

gegen

Jobcenter Dresden vertreten durch die Geschäftsführung, Budapester Suaße 30, 01069 Dresden
– Antragsgegner –

hat die 46. Kammer des Sozialgerichts Dresden durch die stellvertretende Vorsitzende Richterin Dittrich ohne mündliche Verhandlung am 15. Juli 2014 beschlossen:

l. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung für den Monat Juli 2014 verpflichtet, vorläufg Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 453,60 EUR an den Antragsteller zu zahlen.

2. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung für die Monate August 2014 bis Dezember 2014 verpflichtet, vorläufg Leistungen nach dem SGB H in monatlicher Höhe von 567,00 EUR an den Antragsteller zu zahlen.

3. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

Die Beteiligten streiten um die Leistungsgewährung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im einstweiligen Rechtsschutz.

Der am 00.00..1954 geborene alleinlebende geschiedene Antragsteller ist rumänischer Staatsangehöriger und lebt seit dem 00.06.2012 in der Bundesrepublik Deutschland. Er bewohnt eine l-Raum-Wohnung in Dresden für die eine monatliche Gesamtmiete in Höhe von 228,00 EUR (144,00 EUR Grundmiete, 37,00 EUR Heizkostenvorauszahlung, 47,00 EUR Betriebskostenvorauszahlung) antällt.

Er nahm verschiedene Tätigkeiten auf, deren Vergütung nicht bedarfsdeckend waren, so dass er Leistungen nach dem SGB II beantragte. Die letzte Vollzeitbeschäftigung des An- tragstellers endete am 15.11.2013. Zuletzt wurden dem Antragsteller mit Bescheid vom 28.02.2014 — nach Durchführung eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz — Leistungen vom 01.03.2014 bis 15.05.2014 gewährt.

Am 13.05.2014 stellte der Antragsteller beim Antragsgegner einen Weiterbewilligtmgsantrag. Zuvor hatte er zum 01.05.2014 eine unbefristete Tätigkeit als Hausmeister mit einer Vergütung in Höhe von 165,00 EUR/Mon. und einer Arbeitszeit von 4 Stunden/Woche aufgenommen. Mit Bescheid vom 11.06.2014 wurden Leistungen abgelehnt, weil nach der Gesamtschau des Arbeitsverhältnisses keine Arbeimehmereigenschaft vorliege. Der Antragsteller halte sich daher in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche auf und unterfalle daher dem Lcistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II.

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller vertreten durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 04.07.2014 Widerspruch ein.

Der Antragsteller verfügt über ein Konto. Laut vorgelegtem Kontoauszug betrug der Kon- tostand am 01.07.2014 125,16 EUR. Über weitere Konten, Vermögensgegenstände oder Bargeld verfügt der Antragsteller nicht.

Am 08.072014 hat der Antragsteller vertreten durch seinen Bevollmächtigten beim Sozialgericht Dresden einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass der Leistungsausschluss mit Europäischem Recht nicht vereinbar sei. Zudem halte er sich nicht allein zum Zwecke der Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland auf. Vielmehr begründe sein bestehendes Arbeitsverhältnis eine Arbeitnehmereigenschaft.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller ALG II in Höhe von 567,00 EUR zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller sei kein Arbeitnehmer und somit gemäß § 7 Abs. 1 SGB 11 von den Leis-
tungen ausgeschlossen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Verwaltungsakte, die Gegenstand der Entscheidung waren, verwie-
se.

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 86 b Abs. 4 SGG i.V.m. § 124 Abs. 3 SGG durch Beschluss entscheiden. Das Gericht entscheidet ohne die ehrenamtlichen Richter, § 12 Abs. 1 S. 2 SGG

Der Antrag ist zulässig und begründet. Dem Antragsteller werden vorläufg Leistungen nach dem SGB II vom 08.07.2014 bis 31.12.2014 gewährt.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufgen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine sol- che Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der vorläufgen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 3 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO), was dem Antragsteller gelungen ist.

Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht aufgrund einer vorläufi- gen, summarischen Prüfung zu der Übeneugung gelangt, dass eine überwiegende Wahr- scheinlichkeit dafur spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und er deshalb im Hauptsacheverfaluen mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde.

Dabei wird der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten ennittelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbcgehrens geboten ist (Krodel NZS 2002, 234 ff).

Aufgrund dieser Prüfung ist den tatsächlichen Ausführungen des Antragstellers in Bezug auf die vorläufige Gewährung von Leistungen zu folgen.

A)

l. Der Anordnungsgrund, also die notwendige Eilbedurftigkeit, ist gegeben. Dieser besteht, weil es aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen unter Berücksichtigung der Interessen der Parteien unzumutbar erscheint, den Antragsteller zur Durchsetzung seiner Ansprüche auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere grundsätzlich danach, ob sie zur Abwehr wesentlicher Nachteile oder zur Verhindertmg drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nö- tig erscheint. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Haupt- sacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist ein Anordnungsgrund jedenfalls gege- ben. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Einuitt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkre- ten Gefahr unmittelbar bevorsteht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Keller, SGG, l0. Auf- lage 2012, § 86b, Rn. 27 ff).

Durch Vorlage der Kontoauszüge hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass er aktuell über keine finanziellen Mittel verfügt, um sein menschliches Existenzminimum decken zu können.

2. Ein Anordnungsgrund besteht nach Ansicht des Gerichts jedoch nur bis zum 31.12.2014.
Der Regelbewilligungszeitraum beläuft sich gemäß § 4l Abs. l S. 3 SGB II auf sechs Monate. Es ist kein Grund ersichtlich, den Antragsteller gegenüber Bürgen-r, welche keine ge- richtliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen, besser zu stellen (vgl. Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Keller, SGG, l0. Auflage 2012, § 86b, Rn. 35b).

B)

Ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist, kann im Eilverfahren aufgrund der komplexen Sach- und Rechtslage nicht abschließend geklärt werden. Aufgrund einer Folgenabwägung werden dem Antragsteller trotzdem vorläufig Leistungen nach dem SGB II gewährt.

1. Der Antragsteller erfüllt die altersmäßigen Einschränkungen des § 7 Abs. 1 S. l Nr. I SGB

2. Der Antragsteller ist erwerbsfähig nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II. Erwerbsfähig ist nach § 8 Abs. 1 SGB II der, wer nicht wegen Icrankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Das Gericht hat keine Zweifel, dass
der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt.

Für Ausländer sieht § 8 Abs. 2 S. l SGB I1 eine Einschränkung dahingehend vor, dass ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt sein muss oder erlaubt werden könnte.

Der Antragsteller als rumänischer Staatsangehöriger kann sich auf die europäische Grund- freiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen.

3. Der Antragsteller ist hilfebedürftig gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II.

Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II der, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
Der alleinlebende geschiedene Antragsteller hat einen monatlichen Bedarf in Höhe von 619,00 EUR, bestehend aus dem Regelbedarf in Höhe von 391,00 EUR gemäß § 20 Abs. 2 SGB II i.V.m. der Bekanntmachnung vom 16.10.2013. Als Bedarf für Unterkunft und Hei- zung sind 228,00 EUR (144,00 EUR + 37,00 EUR + 47,00 EUR) anzusetzen, § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. An der Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten hat das Gericht keine Zweifel.

Zu berücksichtgendes Vermögen zur Bedarfsdeckung ist nicht vorhanden, § 12 SGB II.

Zu berücksichtigendes Einkommen nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II ist in Höhe von 165,00 EUR vorhanden. Nach der Einkommensbereinigung in Höhe des Freibetrages von 100,00 EUR (5 11b Abs. 2 SGB II) und des Freibetrages in Höhe von 13,00 EUR (5 11b Abs. 3 Nr. 1 SGB H) ergibt sich ein anzurechnendes monatliches Einkommen in Höhe von 52,00 EUR.
Danach ergibt sich für Juli 2014 ein Bedarf des Antragstellers in Höhe von 495,20 EUR.
Da der Eilantrag erst am 08.07.2014 einging, können dem Antragsteller für Juli 2014 erst
ab diesem Tag und mithin für 24 Tage Leistungen gewährt werden (619,00 EUR : 30 Tage x 24 Tage). Abzuziehen ist anrechenbares Einkommen in Höhe von 41,60 EUR (52,00 EUR : 30 Tage x 24 Tage). Somit ist der Antragsteller im Juli 2012 hilfebedtlrftig in Höhe von 453,60 EUR.
Danach ergibt sich für August 2014 bis Dezember 2014 eine Hilfebedürftigkeit des Antragstellers in Höhe von 567,00 EUR monatlich (619,00 EUR — 52,00 EUR).

4. Der Antragsteller hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutsch- land, § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II. Nach ‚E; 30 Abs. 3 S. 2 SGB Ihat den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufliält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der Antragsteller verweilt in der BRD und auch in Dresden nicht nur vorübergehend. Vielmehr ist er seit Längeren: in der BRD und hat in Dresden seinen Wohnsitz begründet.

5. Ob der Antragsteller einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II unterfällt, lässt sich aufgrund der Komplexität der Sach- und Rechtslage nicht abschließend klären.

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGBII scheidet schon deswegen aus, weil der Antragsteller schon wesentlich länger als drei Monate in der BRD Aufenthalt ge-
nommen hat.

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. l S. 2 Nr. 3 SGB II scheidet ebenfalls aus.

Offen bleibt, ob der Leistungsaussehluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift.

a) Offen bleiben muss schon die Frage, auf welches Aufenthaltsrecht sich der Antragsteller berufen kann.

Nicht geklärt werden kann, ob sich der Antragsteller als Arbeitnehmer auf § 2 Abs. 3 Nr. 1 1. Alt. FreizügG/EU berufen karm. Der Antragsteller übt eine geringfügige Tätigkeit aus, bei der fraglich erscheint, ob sie eine Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu begründen vermag. Außer Betracht bleiben Tätigkeiten, die sich als völlig unwesentlich und untergeordnet darstellen. Ein Indiz können die Dauer des Arbeitsverhältnisses, die Urlaubsregelung, Ansprüche auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etc. sein.

Das Arbeitsverhältnis ist vorliegend unbefristet. Ob hingegen Urlaubsansprüche und Ansprüche auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bestehen, geht aus dem Arbeitsvertrag nicht hervor. Das Gericht vermag an dieser Stelle nicht abschließend feststellen, ob nach der Gesamtbetrachtung des Beschäftigungsverhältnisses eine Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers vorliegt Dies kann indes offen bleiben, denn der Antragsteller kann sich zumindest auf das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt FreizügG/EU berufen.

b) Soweit sich der Antragsteller aber nunmehr nur auf dieses Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche berufen kann, muss zunächst der Wortlaut des Leismngsausschlusses nach § 7 Abs.
1 S. 2 Nr. 2 SGB II beachtet werden. Danach würde der Antragsteller keine Leistungen nach dem SGB II erhalten.

Über den Wortlaut hinaus, gibt es aber mehrere Streitigkeiten, ob dieser Leistungsausschluss ftu- EU-Staasangehörige überhaupt gelten darf.

– Auf den Streit bezüglich des Europäischen Fürsorgeabkommens, dessen Wirkung und die Wirkung des Vorbehalts der Bundesrepublik Deutschland kommt es nicht an, weil Rumänien dieses Abkommen nicht ratifiziert hat.

– Entscheidend ist aber der Streit, ob dieser Leistungsausschluss gegen europäisches Ge- meinschaftsrecht verstößt. Konkret geht es um die Frage eines Verstoßes gegen Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2002 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.

Art. 4 V0 lautet: Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist. haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mtgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.

Einige Gerichte vertreten die Auffassung, dass aufgrund des in der Verordnung normierten Gleichbehandlungsgebotes alle in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung fallende Unionsbürger unfassend zum Bezug – insbesondere auch der Leistungen nach SGB II – berechtigt werden (so SG Berlin v. 08.05.2012 – S91 AS 8804/12 ER; SG Dresden v. 05.08.2011 – S36 AS 3461/11 ER). Das Gleichbehandlungsgebot aud Art. 4 VO untersage jegliche auf die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der EU gestützte Diskriminierung einer in den Geltungsbereich der V0 fallenden Person in der sozialen Sicherheit als Ausfluss des primärrechtlich in Art. 21 AEUV verankerten Diskriminierungsverbotes unter EU-Bürgem (HessLSG v. 18.12.2012 — L 7 AS 624/12 B ER —juris-R.n 12). Der Antragsteller Fällt sowohl unter den persönlichen Geltungsbereich nach Art. 2 Abs. 1 der V0 als auch unter den sachlichen Geltungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Nr. h der V0. Für den Antragsteller als Staatsangehöriger von Rumänien, also eines Mitglieds- staates, gelten und galten die Rechtsvorschriften der BRD. Schließlich unterliegt der Antragsteller aktuell dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch und dem darin geregelten Mietrecht. Zudem fallen die Leistungen nach dem SGB Il unter den Begriff Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Danach wären dem Antragsteller aus Gleichbehandlungsgründen Leistungen nach dem SGB I1 zu gewähren.

Andere Gerichte verneinen dies und sehen keinen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, sodass danach Leistungen nach dem SGB I1 weiterhin nicht in Betracht kämen (SG Berlin v. 14.05.2012 – S 124 AS 7164/12 ER; LSG Baden-Württemberg v. 16.05.2012 – L 3 AS 1477/11; LSG Berlin Brandenburg v. 29.02.2012 – L 20 AS 2347/11 B ER). Begrün- det wird das damit, dass diese Ungleichbehandlung durch Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/3 8/EG ermöglicht werde.
Einer Auffassung mag sich das Gericht im Eilverfahren nicht anzuschließen (vgl. LSG NRW v. 11.12.2012 — L 7 AS 1658/ 12 B ER). Dazu wären komplexe Recherchen und Überlegungen notwendig, um dem Zusammenspiel der deutschen und europäischen Normen gerecht zu werden.

– Denkbar wäre zudem, dass sich der Antragsteller auf einen Verstoß gegen Art. 45 AEUV berufen kann.

Art. 45 Abs. l AEUV lautet: Innerhalb der Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

Art. 45 Abs. 2 AEUV lautet: Sie umfasst die Abschaflirng jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten in Bezug auf Beschäftigung Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

Der EuGH hat nochmals entschieden, dass in den Anwendungsbereich des Art. 45 Abs. 2 AEUV (damaligen Art. 39 Abs. 2 EG) auch finanzielle Leistungen eines Mitgliedstaats fallen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen (EuGH V. 04.06.2009 — C 22/08 – Rn 37). Zudem hat der EuGH nochmals entschieden, dass es legitim ist, wenn die Mitgliedsstaaten eine solche Leisttmg aber erst gewähren, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitssuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Stastes festgestellt wurde (EuGH a.a O. – Rn 38). Dabei hat der EuGH es ausdrücklich den zuständigen nationalen Behörden und ggi. den innerstaatlichen Gerichten überlassen, das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen (vgl. EuGH a.a.0 – Rn 41). Dabei kann sich eine solche Verbindung bereits aus der Feststellung ergeben, dass der Betroffene während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat gesucht hat.

Eine solche tatsächliche Verbindung des Antragstellers könnte sich schon deshalb ergeben, weil der Antragsteller geringfügig beschäftigt ist und dafür Arbeitsentgelt erhalten hat bzw.
erhält. Der Antragsteller könnte somit zumindest Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV sein.

Problematisch ist aber, dass der EuGH offen gelassen hat, ob es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um die genannten Leistungen handelt, die den erleichternden Zugang zum Arbeitsmarkt bezwecken sollen (vgl. EuGH v. 04.06.2009 – C-22/08 — Rn 42). Würde man dies bejahen (z.B. LSG Baden-Württemberg v. 25.08.2010 – 25.08.2010 – L 7 AS
3769/10 ER-B), müssten dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II aufgrund dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes zustehen. Würde man dies verneinen, stünden dem Antragsteller wiederum keine Leistungen nach dem SGB ll zu.

Auch an dieser Stelle vermag das Gericht im Eilverfahren keine Entscheidung zu treffen (vgl. LSG NRW v. 11.12.2012 – L 7 AS 1658/12 B ER). Eine abschließende Klärung der Rechtsfrage ist wegen der dargelegten Komplexität der Rechtslage und im Hinblick darauf, dass dem EuGl-1 nach Art. 267 Abs. 1 AEUV die Befugnis vorbehalten ist, das europäische Primärrecht auszulegen und über die Vereinbarkeit des europäischen Sekundärrechts mit dem Primärrecht zu entscheiden nicht möglich. Zudem scheidet ein Vorlageverfahren nach Art. 267 AUEV wegen dessen Dauer im Eilverfahren aus (Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Keller, SGG‚ 10. Aufl. 2012, § 86b Rn 13; LSG NRW v.
02.10.2012 – L 19 AS 1393/12 B ER; LSG Rheinland-Pfalz v. 21.08.2012 – L 3 AS 250/12 B ER; BayLSG v. 14.08.2012 – L 16 AS 568/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg v.
23.05.2012 – L 2S AS 837/12 B ER).

6. Da die Frage des Leistungsausschlusses und damit die Frage des Anordnungsanspruches nicht geklärt werden kann, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (BVerfG v.
12.05.2005 – 1 BvR 569/05).

Das Interesse an einer vorläufgen Regelung darf umso weniger zurückgestellt werden, je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung des vorläufgen Rechtsschutzes verbunden sind. (BVerfG v. 25.02.2009 — 1 BvR 120/09). Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vomahmesachen, jedenfalls dann vorläufgen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu de- ren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage
wäre.

lm Rahmen dieser Folgenabwägung ist die Bedeutung der beantragten Leistungen für den Antragsteller gegen das fiskalische Interesse des Antragsgegner-s abzuwägen, die vorläufg erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurück zu erhalten.

Diese Interessenabwägung geht zugunsten des Antragstellers aus, weil es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um existenzsichemde Leistungen handelt. Auf das dahinterstehende Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gemäß Art. 1 Abs. 1
i.V‚m. Art. 20 Abs. 1 GG können sich auch ausländische Staatsangehörige berufen (vgl.
LSG NRW v. 11.12.2012 -— L 7 AS 1658/12 B ER);
schließlich ist dieses letztlich ein Ausfluss aus der Menschenwürde.

C)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG i.V.m. § 91 ZPO. Sie berücksichtigt das Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten.

D)

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde gemäß § 172 Abs. 1 SGG statthafL

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