Clausnitz – Sächsisches Auswahlermessen

Nach den Eregnissen in Clausnitz will die sächsische Landesregierung kein rechtswidriges Verahlten der Polizei sehen. Ich möchte einmal versuchen, der Frage, ob die Gewaltanwendung gegen Geflüchtete durch die Polizei tatsächlich gerechtfertigt war.

Gehen wir einmal von folgendem Sachverhalt aus, der nicht in allen Punkten als gesichert gelten kann, aber doch eine brauchbare Grundlage für eine juristische Einordnung sein dürfte:

Am 18.02.2016 sollten einige Gefluechtete aus Chemnitz nach Clausnitz verlegt werden.

Die Geflüchteten wurden in einem Bus nach Clausnitz gefahren. Sie wurden durch einen Streifenwagen der Polizei begleitet. Bereits in einigen Abstand zu der ihnen zugedachten Unterkunft – die im übrigen abgesehen von der Lage und der Nachbarschaft durchaus als gut bezeichnet werden kann – war die Zufahrt durch KFZ und Traktoren blockiert. Die Androhung durch die Polizei, die Fahrzeuge abschleppen zu lassen, bewegte die Halter nach einiger Zeit, diese zu entfernen.

Als der Bus mit den Geflüchteten unmittelbar vor der Unterkunft ankam, sahen sich die Ankommenden mit etwa 100 Personen – im folgenden Mob – konfontiert, die „Wir sind das Volk“ riefen und durch Gesten, Habitus und Mimik ihren Hass gegen die Ankommenden zum Ausdruck brachten. Hierbei drohten zumindest einzelne aus dem Mob den Ankommenden mit dem Tod. Auch Schneebälle wurden geworfen.

Die Polizei – inzwischen auf etwa zwei Dutzend Beamte aufgestockt – hielt den Mob mit einer Kette und Schieben mit den Händen von den Türen des Busses zurück. Darüber hinaus gab es keinerlei Versuche seitens der Polizei, gegen den Mob vorzugehen.

Die Polizei verbot den Ankommenden zunächst, aus dem Bus auszusteigen. Es wurde erwogen, die Geflüchteten wieder zurück nach Chemnitz zu bringen. Diese äußerten nach der Art der Begrüßung, sie wollten zurück.

Dann entschied die Polizei doch anders. Sie ordnete an, die Geflüchteten sollten den Bus schnell verlassen. Es ist nicht auszuschließen, dass dabei auch angedroht wurde, diese Anordnung zwangsweise durchzusetzen. Noch immer befand sich der noch in gleicher Weiese agierende Mob direkt an dem Bus. Die Geflüchteten verblieben im Bus.

Sodann verbrachte die Polizei eine Person mittels körperlicher Gewalt – Griff an den Hals und Verdehens eines Armes auf den Rücken – aus dem Bus und verbrachte sie in die Unterkunft, kurz darauf eine andere – minderjährige Person durch einen Würgegriff. Die Gewaltanwendungen gegen die Geflüchteten wurden begleitet von einem triumphierenden Johlen des Mobs.

Die Polizei meint, die Anwendung unmittelbaren Zwanges sei gerechtfertigt, da eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Geflüchteten und für den Bus bestanden habe, da zu befürchten gewesen sei, der Mob könne den Bus u.a. mit Steinen und Böllern angreifen.

Ausgehend von diesem vorsichtig und etwas nüchtern dargestellten Sachverhalt wollen wir nun die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns prüfen. Wer eine etwas empathischer Dastellung wünscht sei auf die eindruckvollen Schilderungen des anwesenden Dolmetschers verwiesen.

Nicht von der Hand zu weisen ist die Gefahrenprognose. In der Tat war zu befürchten, dass der Mob den Drohungen Taten folgen ließe. Sehen wir also darauf, was die Polizei zur Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit – dies umfasst die Rechtsgüter des Einzelnen – darf.

§ 3 SächsPolG – Polizeiliche Maßnahmen

(1) Die Polizei kann innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit die Befugnisse der Polizei nicht besonders geregelt sind.

(2) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Polizei diejenige zu treffen, die ihr nach pflichtmäßigem Ermessen erforderlich erscheint und den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.

(3) Durch eine polizeiliche Maßnahme darf kein Nachteil herbeigeführt werden, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.

(4) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann.

Zunächst also die erforderlichen Maßnahmen treffen.

Und gegen wen?

§ 4 SächsPolG – Maßnahmen gegenüber dem Verursacher

(1) Wird die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch das Verhalten von Personen bedroht oder gestört, so hat die Polizei ihre Maßnahmen gegenüber demjenigen zu treffen, der die Bedrohung oder die Störung verursacht hat.

(2) Ist die Bedrohung oder die Störung durch eine Person verursacht worden, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber demjenigen treffen, dem die Sorge für diese Person obliegt. Ist für eine Person ein Betreuer bestellt, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber dem Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs treffen.

(3) Ist die Bedrohung oder die Störung durch eine Person verursacht worden, die von einem anderen zu einer Verrichtung bestellt worden ist, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber dem anderen treffen.

Aber keine Regel ohne Ausnahme:

§ 7 SächsPolG – Maßnahmen gegenüber Unbeteiligten

(1) Gegenüber anderen als den in den §§ 4 und 5 bezeichneten Personen kann die Polizei ihre Maßnahmen nur dann treffen, wenn

1.

auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht verhindert oder eine bereits eingetretene Störung nicht beseitigt werden kann, insbesondere wenn die eigenen Mittel der Polizei nicht ausreichen, oder
2.

durch Maßnahmen nach den §§ 4 bis 6 ein Schaden herbeigeführt würde, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.

(2) Die Maßnahmen dürfen nur aufrechterhalten werden, solange die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen.

Damit wären die für die Beurtleilung der Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung durch die Polizei wesentlichen Noemen aufgezählt, wenn man von einigen besonderen Voraussetzungen für die anwendung unmittelen Zwanges – so nennt sich die polizeiliche Gewaltanwendung im Gesetz – absieht.

Aus meiner Sicht standen drei Möglichkeiten zur Verfügung die Gefahr abzuwenden:

1. hätte man den Mob auflösen können. D.h. ausgehend davon dass es sich um eine Versammlung handelte – wofür vieles spricht, die Versammlung gem. § 15 Abs. 3 iVm Abs. 1 SächsVersG auflösen und sodann die Pflicht der Teilnehmer, sich zu entfernen mit unmittelbaren Zwang durchsetzen. Geeignete Mittel hat die Polizei hierzu. Die Gefahr ging von dem Verhalten des Mobs aus – hier waren also die primär in Anspruch zu nehmenden Störer.

2. hätte man Clausnitz verlassen können. Da die Geflüchteten den Wunsch äußerten, zurück zu fahren, wäre dies jedenfalls gegenüber gegen ihren Willen durchgeführten Maßnahmen das mildere Mittel.

3. konnte man gegen die Geflüchteten vorgehen, die praktischer Weise auch die Schwächsten waren. Nur muss sich dieses Vorgehen dann an den Voraussetzungen des § 7 SächsPolG messen lassen.

Die Polizei beruft sich darauf, dass sie nicht genug Kräfte gehabt hätte, gegen den Mob vorzugehen. Indes, sie hat dies auch gar nicht versucht, jedenfalls nicht mit allen ihr zur verfügung stehenden (verhältnismäßigen) Mitteln. Den Versuch des Vorgehens gegen den Störer jedoch gar nicht erst zu unternehmen, bevor der Nichtstörer in Anspruch genommen wird, ist aber erst dann zulässig, wenn dieser von vorne herein aussichtslos ist. Bei einem Kräfteverhötnis von 1:4 kann hiervon keine Rede sein.

Und selbst wenn. Man hätte zurück fahren können. Man wandte ein, dadurch hätte der Mob gesiegt. Diese Überlegung kann jedoch im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens in der Auswahl der Maßnahme (§ 3 Abs. 2 SächsPolG) keine Rolle spielen und ist – ganz nebenbei bemerkt – eine erbärmliche Instrumentalisierung der Geflüchteten.