LG Dresden: zur notwendigen Verteidigung gegen geschädigte Polizeizeugen

Das LG Dresden entschied in seinem Beschluss vom 23.11.2021 – 2 Qs 26/21 – , dass dem gerichtsunerfahrenen Jugendlichen ein Verteidiger beizuordnen ist, wenn die Anklage sich auf geschädigte Polizeizeugen stützt. Neben der Aktenkenntnis werde zur sachgerechten Verteidigung auch Verständnis des Akteninhaltes und dessen sachgerechte Bewertung hinsichtlich von Verteidigungsstrategien und -möglichkeiten benötigt. Es bedürfe vorliegend der besonderen anwaltlichen Kenntnis polizeiinterner Abläufe und des berufstypisch zu erwartenden Aussagestils der Polizeibeamten.

Die Entscheidung im Volltext/pdf

+++ Prozess über Versammlungsrecht geht in die zweite Runde +++ Rückenwind für Angeklagten durch neues Urteil +++ Verteidigung fordert Freispruch statt grundgesetzfeindlicher Angriffe auf die Versammlungsfreiheit +++

Das Landgericht Dresden verhandelt am 01.12.2021 über die Strafbarkeit eines Anmelders für seine Versammlung.
Im Juli 2021 verurteilte das Amtsgericht Dresden den Leiter einer Demonstration. Diese richtete sich gegen die Ausweitung polizeilicher Befugnisse durch ein neues sächsisches Polizeigesetz im Jahre 2018. Ihm wurde der Verstoßes gegen § 26 Nr. 2 des Sächsischen Versammlungsgesetzes vorgeworfen.
Auf die Berufung der Verteidigung hin geht der Prozess nunmehr in die zweite Instanz. Am Mittwoch den 01.12.2021 wird das Landgericht Dresden den Fall erneut prüfen. (9:00 Uhr, Saal noch nicht bekannt)

Hintergrund:

Am 17.11.2018 fand eine Demonstration eines breiten Bündnisses gegen das SächsPolG statt, die durch den Angeklagten angemeldet wurde und für welche dieser als Versammlungsleiter auftrat. Die Versammlungsbehörde erließ ohne jede Gefahrenprognose u.a. Auflagen hinsichtlich der maximalen Länge von Seitentransparenten und untersagte das Mitführen von Pyrotechnik. Die Demonstration wurde von etwa 1.500 Menschen getragen. Während dieser wurden 2-3 Rauchtöpfe – wohl zugelassene Bühnenfeuerwerkskörper der Klasse T1 – gezündet. Auch wurde teilweise ein die verfügte Länge übersteigendes seitliches Transparent getragen.

Das Amtsgericht stellte dazu – ohne dass Aussagen der Polizeizeugen diese Annahme stützen konnten – fest, der Angeklagte habe die Aufzugteilnehmer weder aufgefordert, die Transparente nicht seitlich zu führen oder einzurollen, noch das Abbrennen von pyrotechnischen Erzeugnissen zu unterlassen. Stattdessen habe er den Aufzug trotz der ihm bekannten fortwährenden Auflagenverstöße weitergeführt. Ohne weitere Ausführungen folgerte Richter Wirlitsch daraus, der Angeklagte sei als Leiter einer öffentlichen Versammlung Beschränkungen nach § 15 Abs. 1 oder 2 nicht nachgekommen. Urteil als pdf

Dass für die Verteidigung eine solch weite Auslegung des § 26 SächsVersG nicht hinnehmbar ist, liegt auf der Hand. Letztlich würde jeder Auflagenverstoß, der nicht sofort durch die Versammlungsleitung unterbunden werden kann, zu deren Strafbarkeit führen, wenn die Versammlung dann nicht unmittelbar aufgelöst würde.

Das nunmehr für die Berufung zuständige Landgericht Dresden strebte in Verständigungsgesprächen eine Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO an. Insbesondere teilt es Auffassung der Verteidigung, die Rechtmäßigkeit der Auflagen müsse geprüft werden. Die Verteidigung lehnte eine Einstellung des Verfahrens ab. Sie strebt unverändert einen Freispruch an. Bei der Anklage handelt es sich aus Sicht der Verteidigung um einen Versuch, ein neues Instrument der Repression gegen Demonstrationen und deren Strukturen zu etablieren. Hier könne es nicht allein darum gehen, das Strafverfahren sanktionsfrei hinter sich zu lassen.

Hinsichtlich der Rechtsmäßigkeit der Auflagen segelt die Verteidigung mit Rückenwind einer neueren Entscheidung des VG Dresden vom 29.07.2021 (Az. 6 K 2180.18). Darin stellt das VG fest, dass die
wortgleiche Auflage hinsichtlich der Seitentransparente bei einer anderen Versammlung rechtswidrig
war, da der Versammlungsbescheid sich auf keinerlei Gefahrenprognose stützte. Eine solche könne
auch nicht später nachgetragen werden. Insoweit ist die Entscheidung auf die hier verhandelte
Versammlung voll übertragbar.

FTL III: Nebenklage beantragt Hinweis nach 265 StPO

In dem nunmehr dritten Verfahren gegen Mitglieder und Unterstützer der rechtsterrorischten „Gruppe Freital“ vor dem OLG Dresden beantragte heute die Nebenklage, den Angeklagten Simone S. und Sandro M. einen rechtlichen Hinweis gem. 265 StPO zu erteilen.

Beide sind bislang ausschließlich wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Das Gericht stellte den Angeklagten, die die Vorwürfe mit einem Pauschalgeständnis – „das was in der Anklageschrift steht, stimmt so“ – eingeräumt haben, hierfür Haftstrafen im bewährungsfähigen Bereich in Aussicht, ohne dass es zu einer formellen Verständigung kam.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden stützt den Anklagevorwurf beider Angeklagter auf Chatbeiträge im sog. „Schwarzen Chat“ der Gruppe Freital im Zusammenhang mit dem Angriff auf das alternative Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2015.

Die Angeklagte Simone S. sei sich bewusst gewesen, dass seitens der Mitglieder der „Gruppe Freital“ beabsichtigt war, einen von ihr ihm Gruppenchat veröffentlichten „Überfall“ auf eine Blockade einer geplanten Geflüchtetenunterkunft als Legitimation für einen Angriff auf das Wohnprojekt in der Overbeckstraße abzuwarten, und habe gehandelt, um die Gruppierung über das Vorliegen der vermeintlichen Legitimation zu informieren und so eine Tatbegehung der Gruppierung herbeizuführen bzw. zu ermöglichen. Wie von der Angeschuldigten Simone S. beabsichtigt, hätten die Gruppenmitglieder daraufhin den Entschluss gefasst , das alternative Wohnprojekt noch in der kommenden Nacht anzugreifen.

Dem Amgeklagten Sandro M. wirft die GenStA vor, im wissen um die Absicht der Gruppierung, das Wohnprojekt anzugreifen seine Teilnahme angeboten zu haben. Er habe hierbei in der Absicht, gehandelt, den Mitgliedern der Gruppierung seine Unterstützung für den geplanten Angriff zuzusagen und in dem Bewusstsein, dass durch die Erklärung seiner Mitwirkungsbereitschaft zum einen der Gruppierung mehr Spielraum hinsichtlich der einzusetzenden Personen verschafft würde als auch die weiteren Gruppenmitglieder in ihrer Bereitschaft zum Ausführen des Plans bestärkt würden.

Zudem hätten es beide Angeklagten unterlassen trotz der Kenntnis von dem geplanten Angriff in der Folge, die Polizei oder sonstige Strafverfolgungsbehörden hierüber zu unterrichten, wodurch der Gruppierung, wie von ihnen beabsichtigt, ein ungehindertes Handeln ermöglicht wurde.

Gleichwohl nimmt die Generalstaatsanwaltschaft eine Anstiftung oder Beihilfe der Angeklagten Simone S. und Sandro M. an dem Angriff auf die Overbeckstraße nicht an. Zugunsten beider Angeklagter sei davon auszugehen, dass die konkrete Tatplanung, insbesondere bezüglich des Einsatzes von Sprengstoffen gegen das Objekt, erst später erfolgt ist, so dass ihnen insoweit eine Beihilfe zu den vor Ort begangenen Straftaten nicht zur Last gelegt werden kann.

Zugleich beschränkte die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung gem § 154a StPO auf das angeklagte Organisationsdelikt.

Diese Wertung griff die Nebenklage mit ihren heute gestellten Anträgen an. Ausgehend von der Rechtsprechung des BGH zur Konkretisierung Gehilfen- und Anstiftervorsatzes sei von einem hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich der Anstiftung bzw. Beihilfe zu dem Angriff auf das Hausprojekt ”Mangelwirtschaft“ am 18./19.10.2015 auszugehen. Denn die Beweisaufnahme werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ergeben, dass der Vorsatz der Angeklagten S. und M. jedenfalls so konkretisiert war, dass diese von einer gegen die körperliche Unversehrtheit der sich in dem Haus aufhaltenden Personen gerichteten Angriff ausgingen.

So werde schon aus der Kommunikation der Gruppe im Schwarzen Chat bereits am 06.10.2015 deutlich, dass die Teilnehmer einen jedenfalls über Sachbeschädigung hinausgehenden
Angriff auf das Wohnprojekt Mangelwirtschaft planten. Die Angeklagten S. und M. müssten davon auch Kenntnis haben, denn deren regelmäßige Teilnahme an dem Chat sei hinreichend belegt.

Dass die Überlegungen, die “Mangelwirtschaft” anzugreifen, zu konkreteren Planungen gediehen waren, ergebe sich wiederum aus der Kommunikation anderweitig Verfolgter im Umfeld der “freien Kameradschaft Dresden. Hier verwies die Nebenklage insbesondere auf eine Sprachnachricht des wegen der Mitgliedschaft in der „FKD“ verurteilten Maximilian R., der seine Kameraden zur Teilnahme an dem Angriff mit den Worten „ Wir haben ja schon mal gesagt, wenn die unser Ding angreifen greifen wie der ihr Ding an“ und „Das hat heute was damit zu tun, dass die nachhts angegriffen wurde und jetzt eine entsprechende Gegenreaktion kommt. Mit diesem Haus dorte, was man schon mal vorhatte.“ mobilisierte.

Jedenfalls für den Angeklagten Sandro M. sei davon auszugehen, dass er auch Kenntnis hinsichtlich der Tatmittel, insbesondere der verwendeten Sprengmittel hatte. Die ergebe sich dies bereits daraus, dass zu dem Zeitpunkt, als er seineigenhändiges Mitwirken anbot und so den Tatentschluss der unmittelbar Handelnden bestärkte, die Beschaffung der Tatmittel bereits im “Schwarzen Chat” der Gruppe Freital thematisiert wurde.

Dagegen liege die Beteiligungshandlung der Angeklagten S. vor dieser Kommunikation. Zwar möge man auch aus früheren Straftaten der Gruppe Freital und den der Angeklagten S. be-
kannten weiteren Befassung mit Sprengmitteln darauf schließen, dass auch bei dem Angriff auf die “Mangelwirtschaft” diese Tatmittel eingesetzt werden und es möge auch wahrscheinlich sein, dass die Angeklagte S. eine solche Tatbegehung zumindest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, es erscheint hier aber vertretbar, davon auszugehen, dass ein auf die Verwendung von Sprengmitteln gerichteter Vorsatz als nicht in dem für die Anstiftung erforderlichen Grad der Konkretisierung nachweisbar erweisen wird.

Bislang haben auf diesen Antrag weder das Gericht, noch die GenStA oder die Verteidigung reagiert. Für die Nebenklage ist nicht nachvollziehbar, weshalb die GenStA, die alle hier genannten Erkenntnisse bereits 2017 mit der Übertragung des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt in einem Aktenvermerk gut aufgereitet geliefert bekam, weder einen Beteiligungsvorsatz annahm, noch irgendwelche Ermittlungen dahingehend anstellte, bevor sie im Juni 2020 die Tat zur Anklage brachte.

LG Dresden: Ausgangssperre verletzt nicht den Öffentlichkeitsgrundsatz

Mit Beschluss vom 31.03.2020 hat die 16. Strafkammer den Antrag der Verteidigung Rene H.s (FKd IV), die Hauptverhandlung auszusetzen, da der Öffentlichkeit wegen der in Sachsen geltenden Ausgangssperre nicht gewahrt sei, abgelehnt. zur Begründung führt die Kammer aus:

Durch die vom Antragsteller zur Begründung seines Antrages wohl in Bezug genommene
Allgemeinverfügung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen
Zusammenhalt vom 22.03.2020, in Kraft getreten am 23.03.2020, 00.00 Uhr, ist der
Bevölkerung das Verlassen der häuslichen Unterkunft ohne triftigen Grund nicht gestattet.
Der Besuch von Gerichtsverhandlungen als Zuschauer – und damit auch der
Hauptverhandlung im vorliegenden Verfahren – stellt wohl keinen triftigen Grund im Sinne
dieser Allgemeinverfügung dar.

– Soweit es die sogenannte „erweiterte“ oder „mittelbare Öffentlichkeit“ durch
Berichterstattung über die Hauptverhandlung betrifft ist diese durch die o.g.
Allgemeinverfügung nicht beeinträchtigt. Journalisten haben auch unter den Bedingungen
der Allgemeinverfügung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und
Gesellschaftlichen Zusammenhalt vom 22.03.2020 die Möglichkeit Hauptverhandlungen zu
besuchen um über sie zu berichten; sie dürfen dazu ihre häusliche Unterkunft verlassen,
denn die Berichterstattung gehört für sie zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeiten.

– Soweit es die „unmittelbare Öffentlichkeit“ betriff verkennt die Kammer nicht, dass die o.g.
Allgemeinverfügung den Zugang zu Gerichtsverhand-lungen für Zuschauer erheblich
erschwert. Sie stellt jedoch keinen Verstoß gegen die Öffentlichkeitsmaxime i. S. d. §§ 338
Nr. 6 StPO, 169 Abs. 1 S. 1 GVG dar.
Eine Hauptverhandlung ist im in §§ 338 Nr. 6 StPO, 169 Abs. 1 S. 1 GVG geforderten Sinne
dann „öffentlich“, wenn sie in Räumen stattfindet, die während der Dauer der Verhandlung
grundsätzlich jedermann zugänglich sind. Dies ist vorliegend der Fall. Die Protokollantin
hat in der Sitzungspause Rücksprache mit den Wachtmeistern am Eingang zum
Gerichtsgebäude genommen; das Gerichtsgebäude steht Publikums-verkehr offen und es
ist sichergestellt, dass auch Zuschauer das Gerichtsgebäude jederzeit betreten können.
Das Gerichtsgebäude wird – wie auch sonst üblich – bis zum Ende der letzten
Verhandlung am heutigen Tage geöffnet sein.
Weiter werden die §§ 338 Nr. 6 StPO, 169 Abs. 1 S. 1 GVG in fest-stehender
Rechtsprechung dahin verstanden, dass eine Verletzung der Vorschriften über die
Öffentlichkeit und damit ein absoluter Revisionsgrund nur in der gesetzwidrigen
Beschränkung der Öffentlichkeit durch das Gericht oder den Vorsitzenden zu sehen ist.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Weder der Vorsitzende noch die Kammer haben eine
die Öffentlichkeit beschränkende unzulässige Anordnung getroffen.

(16 KLs 373 Js 81/16)

Demokratie nicht systemrelevant

Mit seiner heutigen Entscheidung hat das VG Dresden deutlich gemacht, dass ein effektiver Rechtsschutz gegen Eingriffe in Grundrechte nicht krisenfest ist. Es hält das Verbot jeglicher Versammlungen in Zeiten der Pandemie für offensichtlich rechtmäßig.


Ausgangspunkt ist die allgegenwärtige – nicht zu leugnende – Gefahr, dass eine schnelle Ausbreitung des neuartigen Coronavirus zu einer Überlastung der Gesundheitssysteme führen
und so eine große Zahl an Menschenleben kosten würde.

Angesichts dieser Bedrohungslage zieht sich das Gericht aus der Prüfung von Eingriffen weitgehend zurück:


Zwar haben sich die gewählten Mittel bislang nicht als zwingend geboten erwiesen. In Anbetracht der Dringlichkeit, eine Bekämpfungsstrategie zu entwickeln, bleibt derzeit weder
Zeit noch eine tatsächliche Möglichkeit zu einer abschließenden Evaluation der eingesetzten Mittel. Es hat daher bei der im Gefahrenabwehrbereich gebotenen und in der Regel nur
möglichen Prognose zu verbleiben, die sich – wie ausgeführt – allerdings im konkreten Fall auf umfassende fachkundige Beratung stützen kann. Vor diesem Hintergrund und in
Anbetracht der Gefährdung einer Vielzahl von Menschen haben die Interessen des Antragstellers zurückzustehen.

Die Experten übernehmen das Regiment, für juristische Überlegungen ist kein Platz mehr.


Angegriffen wurde das totale Versammlungsverbot durch die Allgemeinverfügung des sächsischen Ministeriums für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Während Bremen die
Versammlungsfreiheit unangetastet lässt, Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein Ausnahmen vom einem generellen Versammlungsverbot zulässt, sind in Sachsen – wie in den
meisten Bundesländern – derzeit alle Versammlungen verboten. Der Antragsteller wollte sich mit einer überschaubaren Zahl anderer Menschen versammeln, um auf die prekäre Lage
Geflüchteter und Strafgefangener gerade in der Pandemie aufmerksam zu machen. Es sollte nicht öffentlich zu der Versammlung aufgerufen werden. Ein Mindestabstand der Teilnehmer
sollte auf den Weiten des Dresdner Postplatzes eingehalten, Mundschutz getragen werden.


Doch all dies vermochte das VG Dresden nicht davon überzeugen, das allgemeinverfügte Versammlungsverbot als im konkreten Fall unverhältnismäßig zu betrachten:

Wie der Antragsteller zu Recht anmerkt, zielen die Regelungen nicht darauf ab, sämtliche Kontakte auszuschließen. Solche Regelungen wären im Übrigen – gerade unter
Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – auch nicht haltbar, denn ungeachtet der im Einzelfall erforderlichen Schutzmaßnahmen gegen die aktuelle Pandemie
müssen sowohl die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen als auch der Fortbestand der Wirtschaft in der aktuellen Situation sichergestellt bleiben. Vor diesem
Hintergrund zielen die Regelungen vor allem darauf ab, die zwischenmenschlichen Kontakte auf das zwingend notwendige Mindestmaß zu beschränken, um dem exponentiellen
Anstieg der Neuinfektionen entgegenzuwirken.

Deutlicher geht die Nichtachtung der Versammlungsfreiheit als grundlegendem Pfeiler des demokratisch verfassten Gemeinwesens nicht. Während jede berufliche Tätigkeit im Prinzip
uneingeschränkt gestattet bleibt, da ja der „Fortbestand der Wirtschaft“ gesichert werden muss, sind Versammlungen eben nicht „zwingend notwendig“, sprich: nicht systemrelevant.

Denn: der Einzelne darf sich ja noch auf facebook und twitter tummeln:


Zwar mag es gerade in Zeiten der Krise für die demokratische Gesellschaft unabdingbar sei, dem Einzelnen Möglichkeiten zur Teilhabe am politischen Diskurs zu eröffnen. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass nicht sämtliche Formen der Meinungskundgabe und des politischen Diskurses beschränkt sind und über das Abhalten einer
Versammlung hinaus auch andere Möglichkeiten bestehen, in den politischen Diskurs zu treten.

Völlig verfehlt sind dann die Ausführungen des VG Dresden, wenn es darlegt, dass dem Interesse des Antragstellers, sich zu versammeln, mangels „Strahlkraft“ der Versammlung
geringes Gewicht zukäme:


Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die angezeigte Versammlung aufgrund der vom Antragsteller er-warteten geringen Teilnehmerzahl und insbesondere bei Beachtung der
vom Antragsteller vorgetragenen Schutzmaßnahmen (Einhaltung des Mindestabstandes von einem Meter, keine Flugblätter) von vornherein bereits eine geringe Außenwirkung und
Strahlkraft entfaltet. Zudem wird bei Einhaltung des Mindestabstandes eine interne Kommunikation, die gerade Wesensinhalt einer Versammlung ist, nur schwer möglich sein, so
dass auch fraglich ist, in-wieweit der Versammlungszweck unter den gegebenen Umständen überhaupt erreicht werden kann.

Allein schon der der Charakter der Versammlungsfreiheit als minderheitsschützendes Recht verbietet es, die Größe einer Versammlung oder ihre Chance, tatsächlich Einfluss auf die
öffentliche Meinung zu nehmen, als abwägungsrelevantes Kriterium heranzuziehen.


Es mag nicht jede Krise damit verbunden sein, dass die physische Nähe von Menschen eine reale Gefahr für Menschenleben darstellt. Gleichwohl zeigt die Nonchalance, mit der das in hehrer Verfassungslyrik als „unentbehrliches Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens“ (BverfG, Brokdorf-Entscheidung) besungene Grundrecht der
Versammlungsfreiheit höheren Zwecken geopfert wird, dass im Ernstfall auf die staatlichen Garantien wenig zu geben ist. Die Versammlungsfreiheit wurde jedenfalls durch die etwa 150 Menschen, die letztes Wochenende in Berlin achtsam und verantwortungsvoll ihren Protest für Geflüchtete an den Außengrenzen, gegen Zwangsräumungen und Kapitalismus auf die
Straße getragen haben, stärker geschützt, als durch die Gerichte.

„Stinkefinger“ nicht zwingend strafbar

Durch Beschluss vom 20.12.2019 hob das OLG Dresden die Verurteilung einer Antifaschistin wegen des Vorwurfes der Beleidigung auf. Diese hatte nach den Festsellungen des AG Dresden einen ausgestreckten Mittelfinger gegen einen sie und ihre Genossinnen filmenden Polizeibeamten gerichtet. Das OLG schloss sich damit der Stellungnahme der GenSTA an, die ausführt, dass das Urteil des AG Dresden den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslegung einer Meinungsäußerung nicht gerecht wird.

Den Ausführungen des Amtsgerichtes kann nicht eindeutig entnommen werden, ob es die Geste der Angeklagten als Schmähkritik gewertet und daher zu Recht von einer Abwägung abgesehen hat. Dagegen spricht, dass das Amtsgericht sich mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob sich die Angeklagte auf ein berechtigtes Interesse im Sinne von §193 StGB berufen konnte, weil diese Vorschrift in den Fällen der Schmähkritik von vorneherein nicht greift /vgl. Fischer, aaO. § 193 Rn 18).

Hinsichtlich des Erklärungsgehaltes der Geste stellt das Amtsgericht fest, dass die Angeklagte dem Polizeibeamten POM W. bewusst und gewollt den ausgestreckten MIttelfinger ihrer linken Hand zeigte, um ihre Missachtung ihm gegenüber auszudrücken. Es führt dazu aus, dass der erhobene Mittelfinger (Stinkefinger) allgemein als Geste bekannt sei, mit der Geringschätzung und Missachtung zum Ausdruck gebracht werde. Dies erscheint grundsätzlich als eine mögliche Deutung der Geste. Allerdings ist der Rvision zuzugeben, dass auch alternative Deutungsmöglichkeiten dieser Geste in Betracht kommen, die das Amtsgericht nicht berücksichtigt und demnach auch nicht ausschließt. So kann die Geste auch als allgemeine Kritik an dem Polizeieinsatzgemeint sein, der dem Schutz der rechtsgerichteten Demontration dient, was aus Sicht der Angeklagten wohl missbilligenswert ist. Weiterhin kann die Geste auch als Kritik gegen die konkret durch den Polizeibeamten W. ausgeübte polizeiliche Maßnahme gemeint sein, nämlich die Videoaufnahme der Gegendemonstranten, darunter die Angeklagte. Hierfür würde insbesondere auch die Vermummung der Angeklagten in dieser Situation sprechen. Da die Begründung des Urteils nicht erkennen lässt, dass sich das Amtsgericht mit den Alternativen Deutungen der Geste auseinandergesetzt hat, kann die Verurteilung wegen Beleidigung keinen Bestand haben.

Das OLG Dresden hat nunmehr die Sache an eine andere Abteilung des AG Dresden zurückverwiesen.

Platzt der Deal bei FKD IV gegen Andre M.?

Nachdem Patrick F. am 02.07.2017 trotz seines möglicherweise noch besethenden Auskunftsverweigerungsrechtes nach § 55 StPO ausgesagt und Andre M. schwer belastet hat, stellt sich nun die Frage, ob die Verfahrensabsprache, die eine Bewährungsstrafe in Aussicht stellte, aber voraussetzte, dass sich M.s Tatbeitrag ua. im Tatkomplex Mangelwirtschaft als untergeordneter darstellt, noch zu halten ist. Ich dokumentiere hier meinen Antrag von heute, zu dem sich bislang weder die GenStA noch das Gericht hierzu verhalten.

In der Strafsache
./. Andre M.
wg. Bildung einer kriminellen Vereinigung u.a.
16 KLs 373 Js 68/19
gebe ich zur Vernehmung des Zeugen F. in der Hauptverhandlung am 02.07.2019 folgende Erklärung gem. § 257 II StPO ab:

Nach Aussage des Zeugen F. war der Angeklagte M. mit ihm in der Gruppe, die von hinten an das Wohnprojekt ran sei. Die Gruppe seien von hinten 6 Mann gewesen. Herr M. sei vom Start in der Flutrinne bis zum Verbleib vor dem Haus mit dabei gewesen.
Die Angreifer seien von hinten durch ein Holztor durch. Der Zeuge F. sei einer der ersten gewesen. An welcher Stelle Herr M. gewesen sei, könne er nicht sagen. Die Angreifer seien im Grundstück verteilt gestanden. Eine konkrete Erinnerung, wo der Angeklagte gestanden habe, habe er nicht. Sie seien zusammen rausgegrannt, durch die Flutrinne zu seinem Fahrzeug im Gewerbegebiet. Er habe dann Herrn M. und noch einen anderen Dresdner nach Hause gefahren, dann den anderweitig Verfolgten S. mit nach Freital genommen.
Dass Herr M. mit durchs Gartentor gegangen sei, schlussfolgere der Zeuge daraus, dass sie sich dann unten “unten am feld” – also in der Flutrinne – wiedergesehen hätten und zusammen weggerannt seien.
Es seien alle unabhängig voneinander aus dem Grundstück der Mangelwirtschaft rausgerannt. Es sei vorher abgesprochen gewesen, wen der Zeuge mit dem Auto mitnehme.
Der Zeuge habe zunächst in der nähe des “Trachauer Krankenhauses” gehalten, dann irgendwo beim VW-Werk, um jeweils einen der beiden Dresdner rauszulassen. S. habe er nach Freital mitgenommen. Wer wo sass, wisse er nicht mehr.

An der Glaubhaftigkeit der Aussage besteht keinerlei Zweifel. Der Zeuge machte präzise deutlich, was er aus eigener Wahrnehmung erinnerte und was er aus anderen Wahrnehmungen schlussfolgerte. Er machte darüber hinaus deutlich, dass er es nicht ertragen könne, wenn jemand – wie seiner Meinung nach der anderweitig Verfolgte H. durch den anderweitig Verfolgten K. – der Beteiligung an dem Angriff falsch bezichtigt werde, wie er auf Befragung der Verteidigung noch einmal deutlich machte.

Nachdem schon der Zeuge Sch. in seiner Aussage die Einlassung des Angeklagten M. nicht bestätigen konnte, er habe sich von der Gruppe der Angreifer “von hinten” abgesetzt, bevor diese das Grundstück der Mangelwirtschaft erreicht habe, ist diese Einlassung nunmehr durch die Aussage des Zeugen F. widerlegt. Die Aussage des Zeugen lässt schlicht keinen Raum für ein solches Absetzen. Sie bestätigt nicht nur den vom OLG Dresden in dem Urteil gegen Sch, F, W, S, K, W, Kl und Sch festgestellten Sachverhalt, der von einer Gruppe von 4 Freitalern und 2 Dresdner ausgeht, die sich unter der Brücke in der Flutrinne bildet und in gleicher Besetzung den Angriff durchführte, sondern benannte ohne jeden Zweifen el den sog. “zweiten Dresdner” neben den bereits rechtskräftig verurteilten Maximilian R. als den Angeklagten Andre M.

Dies kann für den weiteren Fortgang der Hauptverhandlung nicht ohne Konsequenz bleiben. In der Verfahrensabsprache vom 26.11.2018 stellte das Gericht dem Angeklagten M. im Falle einer umfassenden geständigen Einlassung eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 10 Monaten bis 2 Jahren zur Bewährung in Aussicht. Hierbei wurde vorausgesetzt, dass sich der Tatbeitrag des Angeklagten unter anderem im Tatkomplex Mangelwirtschaft wie in der Anklageschrift dargestellt als untergeordnet darstellt.

Von einem untergeordneten Tatbeitrag kann jedoch dann keine Rede mehr sein, wenn sich nunmehr herausstellt, dass der Angeklagte mit Timo S., Patrick F., Justin S., Mike S. und Maximilian R. auf das Grundstück der Mangelwirtschaft eindrang, um Sprengsätze, die lebensgefährliche Verletzungen verursachen können, in bewohnten Räumen zur Umsetzung zu bringen.

Ich beantrage daher:
Den Angeklagten gem. § 257c Abs. 4 darauf hinzuweisen, dass sich tatsächlich bedeutsame Umstände neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der
Überzeugung gelangt ist, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat oder schuldangemessen ist.

erneut Hinweis nach §265 im Verfahren FKD II (./. Benjamin Z. u.a.)

Die 3. Strafkamme hat heute im Verfahren FKD II folgenden rechtlichen Hinweis erteilt, den ich der Öffentlichkeit nicht vorenthalten will:

Anschließend an den rechtlichen Hinweis der Kammer vom 07.12.2018 und den Beschluss der Kanner vom 12.12.2018 wird den Angeklagten gemäß § 265 StPO der Hinweis erteilt, dass die – auch vorbereitende – Mitwirkung an folgenden, mutmaßlichen Ereigniseen als mitgliedschaftliche Beteiligungsakte zu bewerten sein könnten, die einer – isolierten – Strafbarkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gem §129 Abs. 1 S.1 StGb, im Fall des Angeklagten Benjamn Z. auch einer Beteiligung an einer kriminallen Vereinigung als Rädelsfüherer i.V.m. § 129 Abs. 4 StGB unterfallen könnten:

– Teilnahme an der Gründungsveranstaltung am 27.07.2015

– Annahme und Ausübung des Stellvertreterpostens (Franz R.)

– Teilnahme an der „Spontandemonstration“ an der Bremer Straße in Dresden am 29.07.2015 einschließlich Mpbiliesierung hierzu

– Teilnahme an der Demonstration oder Demonstrationsversuch an der Bremer Straße am 30.07.2015 einschließlch Mobilisierung hierzu

– Kommunikationsteilnahme über die sogenannte 300er Nummer (…)

– Treffen der FKD in der Gaststätte Pfefferminze, insbesondere am 10.082015, 15.10.2015, 19.10.2015

– Teilnahme an sonstigen Treffen der FKD, insbesondere am 20.08.2018 „in der Gartenlaube“

– Teilnahme an Demisntrationen, Kundgebungen oder „Aktionen“, insbesondere an
— der „Straßenblockade“ der S 172 in Heidenau am 21.08.2015,
— der Demonstrationsbeobachtung des „politischen Gegners“ am 29.08.2015 in Dresden,
— der Herstellung und anchließenden Anbringung von Bannern an Autobahnbrücken am 31.08.2015,
— Pegida-Veranstaltungen mit „weißen T-Shirts“ am 07.09.2015 und 21.09.2015,
— dem Treffen in der Gaststätte Deutz in Dresden am 14.09.2015,
— der NPD-Demosntration im Bereich Schnorrstraße in Dresden am 15.09.2015,
— dem Treeffen in der Gaststääte „Werk 7“ in Dresden a, 15.09.2017,
— der Pegidaveranstaltung mit schwarzweißroten Mützen am 28.09.2015,
— Pegida-Veranstaltungen zwecks Ausspähung von und/oder Herbeiführung von Konfrontationen mit politischen Gegnern am 05.10.2015 und 12.10.2015,
— der Pegida-Veranstaltung zum „Jahrestag“ am 19.10.2015 einschließlich Vorbereitung der Teilnahme mit eigenem Banner,
— dem Veretilen des Blickpunkts am 16.10.2015,
— Gruppentreffen zum Grillen am 16.10.2015 und 31.10.2015,
— AFD-Kundgebung in Pirna am 30.10.2015 einschließlich Erkunden von Konfrontationsmöglichkeiiten mit dem politischen Gegner,
— Pegida-Veranstaltungen a, 26.10.2016, 02.11.2015 und 09,11,2015 sowie
— Demonstrationben in Dresden Laubegast am 30.10.2015 und01,11,2015

– Entwerfeb, Bestellen und Verteilen eigener Flayer bzw. Aufklaber der FKD

– Verteilen gefälschter, angeblich „amtlicher“ Briefe eibschließlich Vorbereitung hierzu im September 2015

– Kommunikationsteilnahme über den WhatsApp-Chat „FK_Info“

– Kommunikationsteilnahme über den „WhatsApp-Chat „Grützegruppe“

– Entwerfen und Verwenden des „Wappens“ der FKD

– Einrichtebn und Betreiben der Facebookseite der FKD einschließlich des Postens von Beiträgen auf dieser Seite

– „Umgestaltung“ eines entwendeten Banners „Herz statt Hetze“ und dessen Verwendung

– Vorstellung der FKD gegenüber der NPD in Dresden-Kaditz am 10.11.2015

– Vorstellung der FKD anlässlich einer Demonstration in Pirna am 01.12.2015

– Kranzniederlegung am Volkstrauertag 2015

– Fertigung und Nutzung von „Solidaritätsphotos“ auf dem Windberg

– Teilnahme an einer Demosntration in Leipzig am 12.12.2015

– Teilnahme an Aktioen zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Februar 2016, insbesondere Anfertigung eines Banners und dessen Anbringung an einer Elbbrücke in Dresden.

Damit konkertisiert das Gericht, welche konkerten Handlungen als neben den angeklagten Taten ein weiterer Tatmehrheitlcher Fall der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in Betracht kommen und gibt damit ausblick darauf, wozu es Feststellungen treffen will. Nicht enthalten ist insbesondere die Teilnahme an den rassistischen Mobiliesierungen in Freital („Leonardo“), da als Gründng jenes Treffen Ende Juli in der Minze angenommen wurde. Dabei gibt es durchaus Hinweise darauf, dass die FKD schon wesentlich früher existierte, wie es auch Benjamin Z. erst am 14.05.2019 vor der 16. Strafkammer (FKD IV) als Zeuge aussagte.

Im Übrigen gab die Kammer zu erkennen, dass ihererseits die Brweisaufnahme etwa Ende Juli beendet werden kann. Es bleibt abzuwarten, ob von der Verteidigung noch weietere Bewiesanträge gestellt werden. Es ist zu erarten, dass im August das Verfahren abgeschlosssen wird.

freispruch wg. „nazischweine“

Bereits im Februarr 2019 sprach das Amtsgericht Dresden einen Antifaschisten frei, der das regelmäßig im Pegida-Umfeld auftretende Ehepaar O. auf einer Veranstaltung im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ am 12.03.2018 mit den Worten „Ihr seid Nazis. Nazischweine haben hier keinen Zutritt“ angesprochen haben soll.

Hierzu stellt das Gericht in den nunmehr vorliegenden schriftlichen Urteilsgründen fest:

Am 12.03.2018 fand im Rathaus der Landeshauptstadt Dresden […] die Auftaktveranstaltung zu den „Interkulturellen Wochen gegen Rassismus statt. An dieser Veranstaltung nahm der Angeklagte als Besucher teil. Zu dieser Veranstaltung war allgemein geladen worden ohne Beschränkung auf einen bestimmten Personenkreis. Der Veranstalter hatte sich lediglich vorbehalten, gegebenenfalls von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen bezüglich von Personen, die der rechten Szene zuzuordnen sind. Ein pauschales Zutrottsverbot bezüglich dieser Gruppierung gab es nicht.

[…]

Nachdem die Auftaktveranstaltung gegen 21:15 Uhr beendet war und eine Diskussionsrunbde beginnen sollte, ging der Angeklagte auf die Besucher Carola und Peter O. zu und sprach diese mit den Worten: „Ihr seid Nazis. Nazischweine haben hier keinen Zutritt. Ihr könnt gleich draußen bleiben“ an. Zuvor hatte sich der Zeuge O. während der Auftaktverastaltung kritisch geäußert. Der Angeklagte ordnete beide Zeugen sichtlich dem rechten Spektrum zu, weshalb er die oben genannten Äußerungen tätigte. Nachdem deer Angeklagte diese Äußerungen tätigte, blieb erstehen, weshalb die beiden Zeugen den Nachbarsaal nicht erreichen konnten. Nach wenigen Minuten wurde den beiden Zeugen durch Dritte geholfen, in den Saal zu kommen. Der Angeklagte äußerte hierauf gegenüber den beiden Zeugen sinngemäß, dass man wissen würde, wo deren Auto stehen würde.

Diese Feststellungen stützte das Gericht allein auf die Aussagen der Zeugen O.:

Bezüglich der Handlunegn gegenüber den Zeugen O. stehen ausschließlich die Zeugenaussagen O. zur Verfügung. Die Zeugen berichten beide, dass m,an den Angeklagten bereits aus der Vergangenheit kennen Würde. Der Zeuge O. spricht davon, dass er bereits am 13.02. Kontakt zu dem Angeklagten bei einer Veranstaltung gehabt habe. Damals sei er bereits als Nazi beschimpft worden. Man würde sich insoweit kennen. Es sei richtig, dass er selbst an Pegida-Veranstaltungen teilnehmen würde. Er sei sich sicher, dass der Angeklagte ihn von den Geschehnissen am 13.02. wiedererkannt habe. Deshalb sei es dann auch zu dem Vorfall während der Auftaktveranstaltung gekommen. Der Angeklagte habe zu ihm und zu seiner Frau geäußert „Ihr seid Nazis, Nazischeine dürfen da nicht rein!“. Der Angeklagte habe sich hierbei auch in die Tür gestellt, so dass ein Betreten des Saales nicht möglich gewesen sei. Während der Veranstaltung habe er zuvor sich zu Wort gemeldet. und sich geäußert.

Die Zeugin O. berichtet davon, dass sie den Angeklagten wiedererkennen würde. Damals sei sie sehr aufgeregt gewesen und habe durch das Verhalrten des Angeklagten Angst gehabt. Der Angeklagte habe auch die Äußerung getätigt, dass man unten auf sie warten würde und man würde wissen, wo das Auto stehen würde. Für sie sei das schon eine harte Bedrohung gewesen. Mit Nazis habe sie selbst überhaupt nichts am Hut.

Die Zeugenaussagen O. sind widerspruchsfrei und in sich schlüssig. Das Gericht ist deshalb der festen Überzeugung, dass der Angeklagte am Tattag derjenihǵe gwesen ist, der die beiden Zeugen O. angesprochen und sie am Betreten des Saales gehindert hat. Oben genannter Lebenssachverhalt kann deshalb festgestellt werden.

Wer der Beweisaufnahme beigewohnt hat, kann an dieser Feststellung zwar durchaus Zweifel haben. Vielleicht hatte das Gericht diese Zweifel aber auch gerade deswegen nicht, um einmal in aller Deutlichkeit klarzustellen, dass, wer die politische Auseinadersetzung sucht, diese auch aushalten muss:

Bezüglich des Vorwurfes Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Nötigung war der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Am Tattag hat es eine Auftaktveranstaltung gegeben zu den Wochen gegen Rassismus. Es sollte in diesem Bereich über die weitere Entwicklung diskutiert werden, wobei man auch andere Meinungen zugelassen hat. Diese Veranstaltung war somit politisch motiviert und sollte unterschiedliche politische Kräfte zum Zwecke dere Diskussion zusammenführen. Damit ist diese Veranstaltung geprägt dadurch, dass auch lnke und rechte Kräfte sich äußern durften. Im Rahmen dieser Politischen Auseinandersetzung ist die Äußerung desAngeklagten zu bewerten. Der Zeuge O. hatglaubhaft dargestellt, dass ersich kritisch zu den anderen Äußerungen in der Veranstaltung geäußert hat. Damit war es für den Angeklagten auch erkennbar, dass der Zeuge O und seine Ehefrau einem anderen Spektrum zugeordnet werden kann. Im Rahmen dieser poilitischen Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Kräften ist es zu einer entsprechenden Äußerung gekommen. Diese Äußerung ist durch Art 5 Grundgesetz geschützt. Der Angeklagte hat von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht. Vom einer Schmähkritik kann nicht gesprochen werden. Der Angeklagte hat zwar direkt die Eheleute O. angesprochen, aber sichtlich das rechte Spektrum damit gemeint. Auch wenn die Beteiligten sich bereits vorab bei einer anderen Veranstaltung kennengelernt haben, ist dies nicht Ausdruck einer Privatfete (sic!) zwischen den Beteiligten. An dem Tattag war eine politische Auseinandersetzung gewollt und diese ist auch vollzogen worden. Dass unterschiedliche Meinungen aufeinander prallen, war gewollt und deren Folgen müssen dann akzeptiertvwerden. Soweit der Angeklagte hierbei passiv das Betreten des Saales verhindert hat, ist dies auch Ausdruck der Meinungsfreiheit. Der Angeklagte hat sich in den Weg gestellt und Position bezogen. Dieser passive Widerstand ist zulässig und Ausdruck der Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Fazit: ein sächsisches Amtsgericht kann mitunter die Rechtssprechung des BVerfG schnörkellos umsetzen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Kein Sex mit Nazis

Medienberichten zu Folge sei der seit September 2017 laufende Prozess gegen sechs mutmaßliche Mitglieder der gewaltaffinen Nazi-Kameradschaft „Freie Kameradschaft Dresden“ gefährdet. Aus Sicht der Nebenklage gilt es daher klarzustellen: Es steht derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass der Prozess ausgesetzt werden müsste.

Dies wäre allerdings eine Katastrophe. Eine solche Verfahrensverzögerung würde wohl zur Aufhebung der Haftbefehle gegen die sechs Angeklagten führen, die Anklage würde dann ohne besonderes Beschleuigungsgebot als zweites „Kistenverfahren“ neben der Anklage der „Faust des Ostens“ im Archiv der chronisch überlasteten Staatsschutzkammern verschwinden.

Doch so weit sind wir nicht. Was ist passiert.

Entgegen dem bewährten Grundsatz „Kein Sex mit Nazis“ lies sich eine Schöffin im Januar 2015 auf einen One-Night-Stand mit dem als charismatisch beschriebenen mutmaßlichen Anführer der „Freien Kameradschaft Dresden“ ein, also zu einer Zeit, wo diese Gruppe jedenfalls nach Lesart der Generalstaatsanwaltschaft Dresden noch nicht existerte. Nachdem beide eine Nacht miteinander verbrachten tauschten diese der Erklärung der Schöffin zu Folge noch ein paar SMS aus, danach löschte sie den Kontakt.

Als ihr zum Prozessauftakt im September 2017 gewaht wurde, dass sie als Schöffin gegen einen ehemaligen Sexualpartner verhandeln sollte, entscheid sie sich, dies für sich zu behalten. Erst vor etwa zwei Monaten offenbarte sie sich erst dem zweiten Schöffen und auf dessen Anraten dem Ergänzungsrichter, wobei sie sich zuvor Vertraulichkeit zusichern lies. Dieser machte ihr klar, dass sie sich dem Vorsitzenden offenbaren müsse, hielt sich jedoch an die Zusicherung der Vertraulichkeit gebunden, so dass er die Geschichte für sich behielt.

Im August 2018 wurde nach Hinweisen auf eine Kommunikaton des inhaftierten Hauptangeklagten mit sich auf freien Fuß befindlichen Dritten das Tablet beschlagnahmt, dass diesem zur Verfügung stand, um die sinnvoll nur elektronisch lesbare Akte lesen zu können. In einen der zahlreichen Textfragmentstücke, die der Angeklagte fertigte, erwähnte er, dass er mal „was mit der Schöffin hatte“. Nachdem dies der Presse durchgestochen wurde, wurde die Verbindung der Schöffin zu dem Angeklagten bekannt.

Der Vorsitzende forderte sodann alle Richter dazu auf, Stellungnahmen abzugeben, aus denen sich der hier dargestellte Ablauf ergibt, setzte den Verfahrensbeteilgten eine Stellungnahmefrist hierzu bis Freitag 13:00 Uhr und verlegte den auf Freitag 9:00 Uhr geplanten Fortsetzungstermin auf 14:00 Uhr.

Sowohl die Angeklagten als auch die Nebenklage lehnten daraufhin die Schöffin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Diese kann durch eine Ergänzungsschöffin, die der Verhandlung eben für den Fall des Ausfalls eines Schöffen von Beginn an beiwohnte, ersetzt werden.

Die Verteidigung witterte allerdings – was zu erwarten war – ihre Chance und lehnte daneben auch den zweiten Schöffen, den Ergänzungsrichter und den Vorsitzenden ab. Dies ist nachvollziehbar. Ein weiterer Schöffe könnte nicht ersetzt werden, der Vorsitzende nur durch den Ergänzungsrichter. Häten diese Ablehnungsanträge Erfolg, würde der Prozess platzen und, wenn überhaupt, erst in ferner Zukunft verhandelt werden.

Noch liegen die Ablehnungsanträge nicht vor, Sie scheinen jedoch wenig Substanz zu haben. Nach Presseangaben ist die Ablehnung des Vorsitzenden damit begründet, er habe ein Klima geschaffen, in der sich die Schöffin nicht getraut hätte, sich der Kammer gegenüber zu offenbaren. Aus den dienstlichen Stellungnahmen lässt sich das nicht herleiten, die Schöfin jedenfalls hat sich nicht so geäußert. Wenn da nicht konkrete Anhaltspunkte angeführt werden, sind hier Gründe, die die Besorgnis der Befangenheit fechtfertigen, nicht zu erkennen.

Der zweite Schöffe hat sich so verhalten, wie man es erwarten darf. Er hat der Schöffin geraten, sich Rat bei einem Berufsrichter zu holen. Dass er das, was er im Vertrauen erfahren hat, nicht gegen den Willen der Schöffin der Kammer preisgegeben hat, mag falsch gewesen sein, dass er selbst deshalb nicht mehr unvoreingenommen urteilen könnte, ist nicht zu erkennen.

Insofern wird der Prozess an dieser Stelle nicht platzen. Allerdings: Noch einmal darf so etwas nicht passieren, es darf auch kein Schöffe längerfristig erkranken.