Vor nunmehr fast 2 Jahren, am 19. Februar 2011, scheiterte der Versuch neonazistischer Kräfte aller Couleur, einen Großaufmarsch anlässlich der alliierten Bombardierungen Dresdens im Februar 1945 durchzuführen. Grund war der Protest unzähliger Antifaschisten, die sich trotz – mitunter vielleicht auch gerade wegen – einer im Vorfeld angekündigten eskalativen Polizeistrategie der Verbreitung geschichtsrevisionistischer, den Naziterror verharmlosender bzw. verherrlichender Propaganda in den Weg stellten. Die Erfahrung, dass Naziaufmärsche auch dann verhindert werden können, wenn die Staatsmacht mit allen – nicht nur verhältnismäßigen – Mitteln deren Durchführung durchzusetzen versucht, prägt bis heute über Dresden hinaus antifaschistischen Protest. Maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen hat eine Aktionsform, auf die sich ein breites Bündnis zahlreicher gesellschaftlicher Organisationen und Zusammenhänge verständigt hat: die Strategie, sich den Nazis physisch und ohne Anwendung körperlicher Gewalt mit demonstrativen Platzbesetzungen buchstäblich in den Weg zu stellen.
Die Strafverfolgungsbehörden sahen sich durch diesen gegen die Staatsmacht durchgesetzten Erfolg herausgefordert. In bisher nicht bekannten Ausmaß erhoben Sie Verbindungsdaten all derjenigen Personen, die sich an diesem Tag im Bereich der Dresdner Südvorstadt aufhielten. Insgesamt wurden etwa 1.300 Ermittlungsverfahren eingeleitet, davon betrafen 500 Verfahren den Vorwurf der „Versammlungssprengung“ nach § 21 VersG – also jene bislang weitgehend unbeachtete Vorschrift, die nach Auffassung der Dresdner Staatsanwaltschaft unter Strafe stellt, sich in der Absicht, eine Versammlung zu verhindern, dieser in den Weg zu stellen.
Die Staatsanwaltschaft bot denjenigen, gegen die ein solches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde – das waren 339 Personen, bei den übrigen konnte kein Tatverdächtigter ermittelt werden – bereits vor Anklageerhebung an, dieses wegen geringer Schuld gegen Zahlung einer Geldbuße einzustellen. Das Bündnis „Dresden Nazifrei“ sowie auch die Organisationen, denen die Geldbuße zufließen sollte, forderte die Betroffenen auf diesem nicht zuzustimmen. Etwa die Hälfte der Betroffenen folgte diesem Aufruf, so dass 134 Strafbefehle ergingen, von denen nur 8 rechtskräftig wurden. Die anderen legten Einspruch ein, so dass die Klärung des Tatvorwurfes – mithin auch der damit verbundenen teils schwierigen juristischen Fragen überwiegend zur Sache des Amtsgerichts Dresden wurde.
Zur Verhandlung stand und steht das Geschehen am 19.02.2011 auf der Fritz-Löffler-Str., Ecke Reichenbachstr., einer Straßenkreuzung in der Dresdner Südvorstadt, über die gemäß dem Auflagenbescheid der Stadt Dresden die Nazidemo führen sollte, die noch in den Vorjahren zu den wenigen öffentlichen Großevents der deutschen und europäischen (Neo)naziszene gehörte. Den ganzen Tag über hielten sich dort Personen auf, um der Nazidemo entgegen zu treten. Die Polizei forderte am Nachmittag diese Personen auf, die Kreuzung in Richtung Reichenbachstraße zu verlassen, einer Straße die ebenfalls Teil der Naziroute nach diesem Auflagenbescheid war. Kaum jemand folgte diesem Aufruf. Unterdessen fanden sich am festgelegten Ort der Auftaktkundgebeung der Nazis – dem Nürnberger Platz – nicht mehr als ein paar Dutzend Kameraden ein. Die übrigen steckten teils zusammen mit dem Versammlungsleiter am Hauptbahnhof fest, teils sammelten sie – überwiegend Neonazis aus dem Umfeld der Freien Kameradschaften – sich in Freital, um von dort aus in einem Demonstrationszug Richtung Südvorstadt zu ziehen. Aus diesem Demonstrationszug löste sich dann auch eine Gruppe, um später ein von Linken bewohntes Haus in Dresden-Löbtau mit Steinen anzugreifen und zu versuchen in dieses einzudringen.
Die Lage in der Südvorstadt war von antifaschistischen Protest geprägt. Das polizeiliche Konzept, den Stadtteil großräumig abzusperren, scheiterte an dem entschlossenen Handeln der AntifaschistInnen, die – anstatt sich mit Ihren Bussen von der Polizei auf die andere Elbseite leiten zu lassen, den kilometerlangen Weg von der Autobahn zu Fuß zurücklegten.
Nachdem absehbar wurde, dass der Naziaufmarsch trotz Einsatz massiver Gewalt gegen linke Demonstrantinnen – zum Einsatz kamen neben Schlagstöcken, Reizgasen und Wasserwerfern unter anderem auch sogenannte Pepperballgeschosse, die gegen flüchtende Personen verwendet wurden – sah sich die Polizeiführung veranlasst um 16:32 Uhr den polizeilichen Notstand zu erklären und so das Ziel aufzugeben, die Nazidemo durchzusetzen. Um 16:37 UHR „umschloss“ die Polizei die sich auf besgter Straßenkreuzung befindlichen Personen und begann, deren Personalien festzustellen. Später konnte ein Großteil der Umschlossenen aus diesem Kessel ausbrechen.
Die schnelle Aburteilung der Betroffenen erwies sich jedoch als unmöglich. Bis heute sind erst drei der bei Gericht anhängigen Verfahren rechtskräftig durch Urteil abgeschlossen, davon endete eines mit Freispruch. Nicht zur Zufriedenheit des Bündisses Dresden Nazuifrei konnte geklärt werden, ob diese Form der Platzbesetzung überhaupt nach § 21 VersG strafbar ist. Diese Vorschrift stellt unter Strafe, in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vorzunehmen oder anzudrohen oder grobe Störungen zu verursachen. Der Argumentation, der Tatbestand müsse aus systematischen sowie verfassungsrechtlichen Gründen so reduziert werden, dass die reine (demonstrative) physische Präsenz an einem Ort auch dann straffrei bleibe, wenn durch diese die Durchführung einer Versammlung verhindert werde, folgte das Amtsgericht Dresden ebenso wenig wie das OLG Dresden. Letzteres hat jedoch an den konkreten Tatnachweis Anforderungen gestellt, die – jedenfalls im Wege der von den Strafverfolgungsbehörden angestrebten massenhaften Verfolgung – kaum zu erfüllen sind. Nicht akzeptiert hat es, alleine aus der Tatsache, dass ein Tatverdächtigter im Kessel festgestellt wurde, zu schließen, er habe sich an der Platzbesetzung beteiligt und und subjektiver Hinsicht die Absicht gehabt, den Aufmarsch der Nazis zu verhindern.
In der Folge ließ sich die Staatsanwaltschaft Dresden in den meisten Fällen auf eine Einstellung der Verfahren wegen geringer Schuld ohne der Auflage der Zahlung einer Geldbuße ein. Gegenüber der Öffentlichkeit begründet sie dass damit, dass die weitere Verfolgung eines solchen Bagatelldeliktes nach so langer Zeit unverhältnismäßig sei. Tatsächlich dürfte auch der Staatsanwaltschaft klar sein, dass der Tatnachweis nach den Anforderungen des OLG höchst fraglich ist. Einer Einstellung stimmt die Staatsanwaltschaft jedoch in den Fällen, in denen sie glaubt, die Anwesenheit auf der
Fritz-Löffler-Straße außer durch die Personalienfeststellung auch durch Videomaterial belegen zu können, nicht zu.
Viele der Betroffenen stimmen der Einstellung nunmehr zu – eine Entscheidung, die verständlich ist, stellt doch ein Strafverfahren für den einzelnen eine erhebliche Belastung dar. Auch wenn die Verfahren noch immer von funktionierenden Soligruppen begleitet werden, wird deutlich, dass viele nicht bereit sind, über einen langen Zeitraum diese Belastung zu tragen. Gleichwohl bleibt politisch wünschenswert, zumindest in einigen Musterfällen auf eine Klärung der aufgeworfenen rechtlichen Fragen zu drängen. Derzeit scheint es schwierig, in der Entscheidung, ob und in welchen Fällen einer Einstellung zugestimmt werden soll, die Betroffenen nicht auf sich alleine gestellt zu lassen, so dass es letzlich in der Hand der Staatsanwaltschaft liegt, welche Verfahren durch Urteil entschieden werden.