Gestern wurde vor dem Amtsgericht Dresden die erste Person verurteilt, der vorgeworfen wurde, in der Absicht, eine verbotene Versammlung von Neonazis am 19. Februar 2011 zu verhindern „grobe Störungen verursacht“ zu haben. Als Nachweis genügte dem Gericht die Überzeugung, der Angeklagte habe sich zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich um 16:39 UHR, an einem bestimmten Platz aufgehalten.
Unabhängig von der durchaus berechtigten Frage, ob das Gericht zu dieser Überzeugung durch eine nachvollziehbare Bewertuung der Beweismittel gelangt ist, bleiben bei der Subsumption viele Fragen offen.
Zunächst einmal ist festzustellen, dass § 21 VersG über viele Jahrzehnte einen Dornröschenschlaf schlief, so dass sich – soweit ich das sehen kann – kaum Rechtssprechung hierzu findet. Als die Staatsanwaltschaft Dresden im Rahmen der Mobilisierung zu Massenblockaden im Februar 2010 auf diesen zurückgriff, reagierten viele – auch Juristen – überrascht, klingt doch die Überschrift „Versammlungssprengung“ so gar nicht passend für die explizit gewaltfreie Form, sich Neonazis in den Weg zu stellen bzw. zu setzen.
Stellt man nun auf den Wortlaut des § 21 VersG ab, so scheint doch genau diese Form strafbar, sofern sie erfolgreich ist:
Wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Schnell wurde der Ruf nach einer systematischen Auslegung laut: Da die Verursachung einer groben Störung auf der selben Unrechtsstufe mit der Vornahme oder Androhunng von Gewalttätigkeiten stünde, müsse an den Grad der Störung hohe Anforderungen gesetzt werden. Doch dies hilft nicht viel weiter: Wird das Ziel, den Aufmarsch der Neonazis tatsächlich zu verhindern, erreicht, ist zweifellos eine Störung der Versammlung in der denkbar höchsten Intensität gegeben.
Jedoch überzeugt diese Lösung meines Erachtens nicht. Denn die Struktur des § 21 ist komplexer: Während in der Alternative der Vornahme oder Androhung von Gewalttätigkeiten der Straftatbestand dem Wortlaut nach als reines Tätigkeitssdelikt definiert ist, so stellt er sich in der Handlungsalternative der Verursachung grober Störungen als reines Erfolgsdelikt dar. Wer nun sicherstellen will, dass in den verschiedenen Tatbestandsalternativen nur vergleichbares Unrecht unter die gleiche Strafandrohung gestellt wird, kann nicht einfach das Handlungsunrecht und das Erfolgsunrecht vergleichen. Vielmehr müsste eben auch in der Tatbestandsalternative der Verursachung von groben Störungen umrissen werden, welche Handlungen strafbar sind. Das mögen auch Handlungen sein, die nicht „Gewalttätigkeiten“ – ein Begriff der in der Rechtssprechung zum Landfriedensbruch weitgehend ausdefiniert ist – sind, die bloße Anwesenheit an einem Ort dürfte jedenfalls nicht genügen.
Die Notwendigkeit der Bestimmung strafbarer Handlungen ist umso größer, als im Demonstrationsgeschehen der Erfolg von zahlreichen, regelmäßig vom einzelnen nicht absehbaren Faktoren abhängt, nicht zuletzt von der Einsatzstrategie der Polizei. Nicht wenige verhalten sich bewusst polizeirechtswidrig, um damit Ihrer Meinung besonderen Ausdruck zu verleihen. Mögen dies auch Konservative als moralisch zu beanstanden sehen, strafbar ist dies nicht. Wer sich auf eine Strasse setzt, in der Annahme, er werde sodann weggetragen, wäre nach dem Wortlaut des § 21 dann strafbar – verwirklicht zumindest den objektiven Tatbestand – , wenn die Polizei sich außer stande sähe dies zu tun, oder sich schlicht lieber dafür entscheidet, zum Zwecke der Strafverfolgung diesen festzuhalten. Gerade im Dunstkreis der Versammlungs- und Meinungsfreiheit ist eine solche Abhängigkeit der Strafbarkeit von polizeilichen Handeln unerträglich.
Zuletzt bleibt zu hoffen, dass sich das Gros der Menschen ohnehin stärker an Ihrem Gewissen als an der Strafbarkeit Ihres Verhaltens orientiert. Denn auch wenn die juristische Auseinandersetzung um Massenblockaden der Nazidemos um den 13. Februar in Dresden noch lange nicht abgeschlossen ist, bleibt doch sicher, dass sich der Protest nicht in Luft auflösen wird.